Harald Glööckler - Glööckler, H: Harald Glööckler
Anfang. Und es würde vor allem eigenes Geld bedeuten. Die Unabhängigkeit, die ich so lange ersehnt hatte.
Und es klappte! Nachdem ich den Schulabschluss in der Tasche hatte, ging es im Spätsommer sofort los. Ich genoss auf Anhieb einen großen Vertrauensvorschuss. Das motivierte mich zusätzlich, denn ich wollte weder meine Tante noch meinen Chef enttäuschen. Und vor allem wollte ich nicht, dass irgendjemand annahm, ich hätte den Ausbildungsplatz nur durch Vitamin B bekommen. Also legte ich mich in der Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann richtig ins Zeug.
Ich durchlief ratzfatz alle Stationen im Haus, bekam in sämtlichen Prüfungen Bestnoten und war nach der Ausbildung sofort für den Einkauf der Herrenmode in beiden Kaufhäusern verantwortlich – außer dem Haupthaus in Mühlacker gab es noch eines in Vaihingen an der Enz. Das war eine Steilwandkarriere!
Aber ich hatte sogar noch Energie übrig. Ich meldete mich beim Künstlerdienst und verschiedenen Agenturen an und begann, auf Modenschauen in der Umgebung und für Fotoproduktionen zu modeln – am Wochenende oder nach Feierabend. Das lief super und machte mir unheimlich viel Spaß. Mich auf dem Laufsteg in gerade angesagten Klamotten zu Musik zu bewegen und dafür auch noch Geld zu bekommen, das war, als würde ich für ein Hobby bezahlt werden.
Der Catwalk steht mitten in der Fußgängerzone. Die Modenschau wird von einem kleinen Laden veranstaltet, der heute aufgemacht hat. Ich stehe mit den anderen Models frierend im ungeheizten Backstagezelt. Wir warten auf unseren Einsatz. Ich trage eine langweilige Jeans und ein Shirt mit Graffiti-Muster. Der Beat beginnt, ich laufe los. Gestresste Weihnachtseinkäufer eilen vorbei, nur wenige bleiben mit Glühwein in der Hand stehen. Doch dann wird der Laufsteg plötzlich länger und breiter. Die gelangweilten Passanten verschwinden, links und rechts sitzenLeute in feiner Abendgarderobe, statt Lichterketten hängen Lüster in einem holzvertäfelten Saal. Ein klassisches Orchester spielt, ich habe einen Anzug aus reiner roter Seide an, die Mädchen flankieren mich in voluminösen Reifröcken. Ich wache auf, als die Standing Ovations in das Klingeln meines Weckers übergehen.
Meine Nebenjobs brachten mich finanziell in eine so gute Lage, dass ich nicht nur endlich zu Hause ausziehen konnte. Ich konnte mir sogar eine schöne Wohnung in der besten Lage von Mühlacker leisten. Ein Mini-Penthouse mit Balkon und Blick übers Tal. Beim Einrichten der Wohnung tobte ich mich richtig aus. Ich hatte natürlich keine Lust auf die Ende der Achtzigerjahre üblichen »modernen« Möbel im »geometrischen« Design und auf Öko-Stil in heller Fichte erst recht nicht.
Auf Tante Katharinas Dachboden, den ich jetzt endlich ganz offiziell betreten durfte, suchte ich mir einige schicke Stücke aus: einen verspielten Beistelltisch, eine bauchige Kommode, silberne Kerzenleuchter aus der Truhe, Spiegel, ein kleines Sofa und noch einiges mehr. Was ich hier nicht fand, entdeckte ich auf dem Speicher des Gasthofs oder im Haus meiner Großmutter in Illingen. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen: Mein kleines Domizil sah fast aus wie eine Mini-Ausgabe von Anitas Stadtvilla.
Die Wohnung kostete 600 Mark im Monat, was für mich damals viel Geld war. Meine Berufsschulkollegen wohnten entweder noch zu Hause oder in winzigen Buden ohne jeden Komfort für maximal 300 Mark. Ich dagegen hatte sogar noch so viel übrig, dass ich mir meinen Geschmack in puncto Kleidung problemlos leisten konnte.
Ich liebte es, farbenfroh und ausgefallen herumzulaufen. Mit der gerade angesagten Mode zu experimentieren und ihr meinen eigenen Stempel aufzudrücken machte mir genauso viel Spaß, wie früher mit Gardinen und Stoffresten die Nachbarskinder zu verwandeln. An manchen Tagen lief ich als Punkrum, mit Schnürstiefeln und steil nach oben gegelten bunten Haaren. Ein andermal trug ich eine ganz weite schwarze Hose zum schwarzen Shirt und orangefarbenen Jackett. Oder ich entschied mich für ein schwarzes Fifties-Jackett mit braunem Wildlederkragen und passenden Schuhen, dazu modellierte ich mir dann eine Bill-Haley-Locke in die Stirn. Mein Kleiderschrank füllte sich in Lichtgeschwindigkeit, stilistisch war ich überhaupt nicht festgelegt. In meinem Job war das auch zum Glück völlig in Ordnung, denn wenn ein Modeeinkäufer nicht die neueste Mode tragen darf – wer dann?
In Zaisersweiher hatte ich natürlich auch eine Leopardenhose zum Netzshirt
Weitere Kostenlose Bücher