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Harald Glööckler - Glööckler, H: Harald Glööckler

Titel: Harald Glööckler - Glööckler, H: Harald Glööckler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Stella Harald;Bongertz Glööckler
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worüber sie sich stritten. Geld war es sicher manchmal, aber in den Wortfetzen, die ich so hörte, ging es auch um den Haushalt, das Restaurant, um mich, um die Tiere. Mama war wortgewandt und ließ sich in Diskussionen nicht unterkriegen. Das frustrierte meinen Vater, weil er ihr geistig nicht gewachsen war. Er kompensierte diese Unterlegenheit mit jähzornigen Wutausbrüchen. Indem er meine Mutter schlug, wollte er klarstellen, dass er das Sagen hatte. Und dass sie trotzdem nicht klein beigab, brachte ihn umso mehr in Rage, und seine Schläge wurden härter und gnadenloser.
    In mein Gedächtnis ist ein Bild eingebrannt. Dieses Bildversuche ich seit damals zu vergessen, weil es mich immer wieder aufwühlt. Aber es geht nicht weg. Es ist das Bild, wie mein Vater mit dem Spaltermesser aus der Schlachterei durch unsere Wohnung hinter meiner Mutter herrennt. Sie schreit vor Angst, bis sie sich auf die Straße flüchtet. In dem Moment hatte ich Todesangst um meine Mutter, wenn man das so sagen kann.
    Ab und zu floh sie auch mit mir zu Großmutter in Illingen, wo wir dann über Nacht blieben. »Mama, können wir nicht hierbleiben?«, bat ich sie immer am nächsten Tag, aber sie sagte nur: »Wir müssen uns doch um die Tiere kümmern! Und Papa ist nicht wirklich böse. Er muss nur wieder nüchtern werden.« Das stimmte sogar möglicherweise, leider wurde er nur nie nüchtern.
    »Harald.« Meine Mutter legt mir die Hände auf die Arme und schaut mich eindringlich an. »Du musst mir versprechen, mit niemandem darüber zu reden, Harald. Hörst du? Sprich nie mit jemandem darüber, was Papa manchmal macht.« Ich nicke. Auch wenn ich weiß, dass es falsch ist.
    Es klingt vielleicht im ersten Moment unvorstellbar, aber mich hat Vater nie geschlagen. Es war immer so, als habe er einen Bogen um mich gemacht. Ich glaube, ich war ihm unheimlich und er hielt einen Sicherheitsabstand. Manchmal, wenn er an mir vorbeiging, blieb er stehen. Dann starrte er mich eine Weile aus der Distanz an und sagte kein Wort. So, als wolle er begreifen, wer ich bin. Ich starrte zurück. Es war immer er, der klein beigab. Wie ein Hund, der anerkennt, dass er der Unterlegene ist. Doch das bedeutete nicht, dass ich meinen Vater hätte stoppen können, wenn er meine Mutter angriff. Als ich noch kleiner war und er einen seiner Ausbrüche hatte, lief ich jedes Mal weg. Dann versteckte ich mich unter meiner Bettdecke, weinte und hielt mir die Ohren zu, bis ich es schaffte, an etwas anderes zu denken. Das andere, das war meistens das Schloss, das ich haben würde, wenn ich endlich erwachsen war. Erwachsen zu sein erschien mir wie das Paradies. Endlich etwas tun können, endlich nicht mehr hilflos sein. Endlich weg.
    Je älter ich wurde, umso häufiger versuchte ich, dazwischenzugehen, wenn sie sich stritten, um zu verhindern, dass die Situation eskalierte. Das führte dann allerdings nur dazu, dass die Szene kurz einfror, bis Mama sagte: »Harald, schon gut, alles in Ordnung, geh spielen.« Und kaum glaubte mich Vater außer Hörweite, begann das Gebrüll von Neuem.
    Wenn mein Vater Mama so übel zugerichtet hatte, dass etwas genäht werden musste, fuhr meine Mutter zu unserem Hausarzt ins nahe gelegene Maulbronn. Ich weiß nicht, ob ihm jemals leid tat, was er gemacht hatte. Es sah nicht so aus, aber ich war ein verängstigtes Kind, und so fragte ich ihn auch nicht.
    Danach arbeitete sie weiter. Mit Make-up auf den blauen Flecken und Pflastern auf der Stirn oder an der Schläfe. Und einem Lächeln auf den Lippen. Wenn jemand nicht peinlich berührt über ihre Blessuren hinwegsah, sondern sich traute zu fragen, was denn passiert sei, antwortete sie das, was sie auch dem Arzt im Krankenhaus erzählte: »Ach, ich bin die Treppe runtergefallen. Man sieht so schlecht, wo man hintritt, mit einem Wäschekorb in der Hand.« Sie wusste, ein Gastwirt, der seine Frau schlägt, schadet auch dem Geschäft. Niemand will Teil eines Horrorfilms werden. Auch dann nicht, wenn es nur in der Mittagspause ist. Trotzdem bekamen die Besucher des Gasthauses und die Dorfbewohner natürlich nach und nach mit, dass etwas nicht stimmte, in einem winzigen Dorf mit anderthalbtausend Einwohnern lässt sich wenig geheim halten. Geholfen hat ihr niemand.
    Es war irgendwann im Herbst, mitten in der Nacht. Ich war inzwischen dreizehn. Weil ich nicht schlafen konnte, hörte ich Musik über Kopfhörer, meine Lieblingskassette mit Chansons von Edith Piaf. Dabei konnte ich schon damals

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