Harald Glööckler - Glööckler, H: Harald Glööckler
Bierdeckel. Mehr konnte ich kaum tun.
Wochen vergingen. Ich hatte die Sache nicht vergessen, aber machte mir mittlerweile wenig Hoffnungen, als auf einmal das Telefon klingelte. Es war ein sonniger Sonntagnachmittag im Mai, ausnahmsweise stand kein Modeljob an, und ich hatte mir in bester Tante-Katharina-Tradition Kuchen in der Konditorei besorgt und gerade einen Kaffee aufgesetzt.
»Hier ist Dieter.«
Sieh einer an!
»Ich hab hier gerade deine Nummer in meiner Jeans gefunden und da dachte ich, ich melde mich mal.«
Dieter erkundigte sich, ob mein Freund da sei. Natürlich, er musste denken, dass Kurt mein Lebensgefährte war. Kein Wunder, dass er sich nicht gemeldet hatte. Als ich erklärte, ich hätte keinen Freund, wollte er wissen, was ich gerade machte. Diese Offenheit war entwaffnend und charmant. Ich sagte, dass ich in Kürze Kaffee trinken wolle. Wenn er mich sehen wolle, müsse er sich schon in Bewegung setzen. Und tatsächlich!
»Wenn du noch einen übrig hast, komm ich vorbei«, schlug er vor, »wo wohnst du denn?« Als er erfuhr, dass ich in Mühlacker in der Nähe von Pforzheim lebte, war es eine kurze Schrecksekunde lang still in der Leitung. Dieter wohnte fast zweihundert Kilometer entfernt. Dann meinte er: »Macht nix, ich komm trotzdem. Halt den Kaffee warm!«
Ich gab ihm meine Adresse und überlegte, wie lange es wohl dauern würde, bis er klingelte. Und nach zwei Stunden klingelte es tatsächlich – allerdings nicht an der Tür, es war wieder das Telefon.
»Harald, hier ist Dieter. Ich bin in einer Telefonzelle in deiner Straße. Ich hab eben schon vor deinem Haus gestanden, wusste aber nicht, wie du mit Nachnamen heißt – und bei den vielen Klingeln …«
Ich klärte ihn auf, und fünf Minuten später stand er dann tatsächlich bei mir auf der Matte. Ich setzte frischen Kaffee auf, wärmte den Apfelstreusel kurz in der Mikrowelle an – und setzte mich dann mit Dieter auf den Balkon.
Sosehr er sich im Connexion geziert hatte, jetzt sprudelte es plötzlich aus ihm heraus. Und ich saß da und hörte mit großen Ohren zu.
So verschieden die Geschichte, die ich nun zu hören bekam, auch von meiner eigenen war, es gab doch einen entscheidenden Berührungspunkt: Dieter war wie ich in der Enge einer piefigen Kleinstadt groß geworden. Und das beeinflusst, ob man will oder nicht. Allerdings hatte sich das bei Dieter auf andere Art ausgewirkt als bei mir.
Er begann seine Story mit dem Knalleffekt: Noch vor einem Jahr hatte er als verheirateter Familienvater gelebt und war Vater von zwei kleinen Töchtern.
Ich war allerdings gar nicht so überrascht, denn ich hatte mir so etwas schon fast gedacht. Ich hatte schon einige solcher Geschichten gehört. Diese Lebensläufe hatten dabei immer eines gemein: Die Protagonisten hatten ihre homosexuelle Seite zum Teil viele Jahre verdrängt. Und ich hatte recht mit meiner Vermutung: So war es auch bei Dieter gewesen.
Schon als Teenager hatte er so gut Fußball gespielt, dass er damit sogar richtig Geld in drei verschiedenen Vereinen verdiente. Fußball und Kleinstadt, da landete man automatisch in der Hetero-Schublade. Und Dieter hatte sich angepasst – allerdings erst mal ohne überhaupt zu merken, dass er in diese Schublade nun wirklich nicht gehörte. Wie alle anderen seiner Kumpels hatte er eine Freundin und fing neben dem Fußballeine Lehre an. Alles ganz »normal«. Während er seine Ausbildung zum Industriekaufmann machte, träumte er jeden Abend vor dem Einschlafen von einem Bungalow wie in den amerikanischen Vorabendserien. Der Bungalow war sein Traum. Das, was für mich das prunkvolle Schloss war.
»Es klingt vielleicht bescheuert, aber so einen Bungalow wollte ich unbedingt, Harald.«
Nach seiner Lehre hatte er seinem Chef darum sofort die Brocken hingeschmissen und sich selbstständig gemacht, um das nötige Kleingeld zu verdienen und seinen Traum zu verwirklichen. Erst hatte er mit einem Kumpel ein Café eröffnet, das hervorragend lief, weil die Schüler aus dem Gymnasium um die Ecke ihr Taschengeld in den Freistunden dort auf den Kopf hauten. Als er feststellte, dass sein Kompagnon Geld unterschlagen hatte, verlor Dieter allerdings die Lust – und ließ sich ausbezahlen. Stattdessen machte er allein in der Fußgängerzone eine Herrenboutique auf. Und wieder lief es wie geschmiert: »Das war eine Goldgrube. Jeder, der im Ort einen Anzug oder ein Jackett brauchte, kaufte bei mir.«
Seine Freundin wurde bald schwanger, und wie
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