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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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ausgesprochen hochwertige Sachen noch auffallend schäbige sind darunter. Ich kann gerade eben Epoche und Jahreszeit unterscheiden sowie geschlechts- und generationsabhängige Modeunterschiede ausmachen – es ist nichts darunter, was irgendeinen besonderen Eindruck hinterlassen würde. Sogar der Geruch ist ähnlich. Das meiste ist von Motten zerfressen. Nirgendwo ist ein Name angebracht. Als ob jemand mit größter Sorgfalt jedes Gepäckstück einzeln durchgesehen und alle Namen und alles Persönliche daraus entfernt hätte. Übrig geblieben ist nichts als namenlose Gewebeproben verschiedener Zeitalter.
    Beim fünften oder sechsten Stück gebe ich auf und lasse die Koffer Koffer und die Taschen Taschen sein. Es staubt unerträglich, und ich beschließe, dass es eher unwahrscheinlich ist, hier irgendwo ein Musikinstrument zu finden. Falls es in der Stadt überhaupt welche geben sollte, dann bestimmt nicht hier.
    »Komm, lass uns gehen«, sage ich. »Es ist so staubig hier, die Augen tun mir schon weh.«
    »Bist du enttäuscht, weil wir kein Instrument gefunden haben?«
    »Ja. Aber vielleicht finden wir ja irgendwo anders eins«, sage ich.

    Als ich mich von ihr verabschiedet habe und alleine den Westhügel hinaufsteige, kommt plötzlich heftiger Monsun auf, der hinter mir den Berg hochfegt, als habe er es auf mich abgesehen. Der Wald heult auf, schrill und himmelzerreißend. Ich drehe mich um und sehe über dem Uhrturm die Mondhälfte stehen, einsam und verlassen; dicke Wolken ziehen an ihr vorüber. Pechschwarz glänzt der Fluss im Mondenschein.
    Plötzlich fällt mir der warme Schal wieder ein, den ich in einem der Koffer im Archiv gefunden habe. Er hat zwar schon einige Mottenlöcher, aber wenn man ihn mehrmals um den Hals schlingt, wird er schon warm genug sein. Ich werde den Wächter fragen, er wird mir bestimmt Auskunft geben können, denke ich mir, zum Beispiel, wem die Sachen gehören und ob ich sie benutzen darf oder nicht. Ohne Schal tun mir die Ohren im Wind jedenfalls so weh, als würden sie mit einem scharfen Messer bearbeitet. Morgen früh werde ich als Erstes dem Wächter einen Besuch abstatten. Ich muss außerdem in Erfahrung bringen, wie es meinem Schatten geht.
    Ich drehe der Stadt wieder den Rücken zu und gehe die vereiste Straße zum Beamtenviertel hinauf.

23  HARD-BOILED WONDERLAND
LÖCHER, EGEL, DER TURM
    »Nein, kein Erdbeben«, sagte meine dicke Gefährtin. »Etwas viel, viel Schlimmeres.«
    »Zum Beispiel was?«
    Sie holte Luft, um etwas zu sagen, schüttelte aber gleich darauf den Kopf: »Das zu erklären ist jetzt keine Zeit. Lauf, so schnell du kannst, immer nach vorne. Das ist die einzige Rettung. Dein Bauch wird ein bisschen weh tun, aber das ist immerhin besser, als zu sterben, oder?«
    »Vermutlich«, sagte ich.
    Durch das Seil verbunden liefen wir in dem Graben mit voller Kraft voraus. Die Lampe in ihrer Hand schwankte wie wild auf und ab und malte ein bizarres Zickzackmuster an die hohen Wände. Das Zeug in meinem Rucksack sprang klappernd hin und her. Die Büchsen, die Feldflasche, der Whiskey. Am liebsten hätte ich bis auf die wirklich notwendigen Sachen alles weggeschmissen, doch stehenzubleiben konnte ich mir nicht leisten. Ich blieb ihr nur verbissen auf den Fersen, Muße, an meine Schmerzen zu denken, hatte ich nicht. Uns verband das Seil, ich konnte nicht einfach langsamer machen. Ihr fliegender Atem und das Geklapper meines Rucksacks hallten rhythmisch durch das Dunkel, überlagert schließlich vom immer lauter werdenden Dröhnen der Erde.
    Zum einen wurde es deshalb immer lauter und deutlicher, weil wir geradewegs darauf zuliefen, und zum anderen, weil das Dröhnen selbst ständig an Stärke zunahm. Was sich zuerst wie ein aus der Tiefe der Erde kommendes Donnern angehört hatte, wandelte sich schließlich zu einem gewaltigen Keuchen. Ein Geräusch, als wolle sich aus gigantischen Lungen gepresste Luft tief in der Kehle zu Sprache formen. Dem folgte ein Knirschen wie von Felsgestein, und die Erde begann zu beben. Etwas Verhängnisvolles nahm unter unseren Füßen seinen Lauf; was, wusste ich nicht, aber es war drauf und dran, uns zu verschlingen.
    Der Gedanke, geradewegs auf das Zentrum des Dröhnens zuzulaufen, war wenig erhebend, doch das Mädchen hatte diese Richtung eingeschlagen, mir blieb keine Wahl. Ich musste laufen, solange es ging.
    Glücklicherweise gab es keine Hindernisse auf dem schnurgeraden Weg, der zudem flach war wie eine Bowlingbahn, sodass wir

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