Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt
die Augen und liefen mir übers Gesicht, in die Mundwinkel, tropften auf den harten Fels. So fürchterlich hatte ich mir den Kopf noch nie angeschlagen.
Ich meinte, auf der Stelle in Ohnmacht fallen zu müssen, doch irgendetwas hielt mich in dieser Welt des Schmerzes und der Dunkelheit fest – ein Fetzen Erinnerung, dass ich zu etwas unterwegs gewesen war. Richtig, ich hatte etwas tun wollen. Ich war gerannt, gestolpert und hingefallen. Ich war vor etwas geflohen. Ich durfte hier nicht einschlafen. Es war ein armseliger Fetzen Erinnerung, doch ich klammerte mich mit aller Macht daran.
Ich klammerte mich wirklich daran, im wahrsten Sinne des Wortes. Doch mit dem langsam wieder einsetzenden Bewusstsein merkte ich, dass es kein Erinnerungsfetzen war, an den ich mich klammerte. Es war das Nylonseil. Einen Augenblick lang glaubte ich, ein schweres, vom Wind gebeuteltes Wäschestück zu sein. Ich leistete Widerstand gegen den Wind, gegen die Schwerkraft, gegen alle Kräfte, die auf mich einwirkten und mich zu Boden schleudern wollten, ich gab mir alle Mühe, meiner Mission als Wäschestück gerecht zu werden. Warum ich solches Zeug dachte, weiß ich nicht. Vielleicht lag es an meiner Gewohnheit, Situationen und Zustände in praktische Bilder zu übersetzen.
Meine nächste Empfindung war, dass mein Ober- und mein Unterkörper sich in sehr verschiedenem Zustand befanden. Um genau zu sein: Mein Unterkörper war fast völlig taub. Die Empfindungen in meiner oberen Körperhälfte standen unter Kontrolle: Mein Kopf schmerzte, mit dem Gesicht lag ich auf dem kalten Felsboden, meine Hände umklammerten das Nylonseil, der Magen hing mir knapp unter dem Kinn, und etwas Spitzes drückte auf meine Brust. So weit war alles klar. Doch was mit meinem Unterkörper los war, wusste ich nicht.
Vielleicht ist er weg, dachte ich. Die Wucht des Aufpralls hatte mich ungefähr in Höhe der Bauchwunde in zwei Stücke gerissen, und den unteren Teil hatte es wer weiß wohin geschleudert. Meine Beine – dachte ich –, meine Zehen, mein Bauch, mein Penis, meine Hoden, meine … Nein, das konnte nicht sein. Wenn mein Unterkörper weg wäre, müsste ich ganz andere Schmerzen empfinden.
Ich versuchte, die Lage kühl zu überdenken. Mein Unterkörper ist da. Er ist da, befindet sich jedoch in einem Zustand, der mich nichts fühlen lässt. Ich schloss die Augen, ließ die Wellen von Kopfschmerzen, die immer wieder heranrollten, vorbeirauschen und konzentrierte mich mit jeder Faser meines Seins auf meinen Unterkörper. Die Anstrengung glich jener, einen Penis, der sich nicht aufrichten will, durch pure Konzentration zur Erektion zu zwingen. Ich pumpte Kraft in einen leeren Raum.
Mein Unterkörper, erkannte ich, befand sich in einem Zustand des Weder-Noch. In einer Art Schwebezustand … genau! Er hing im leeren Raum jenseits des Felsgesteins, und mein Oberkörper bewahrte ihn mit knapper Not vor dem Absturz. Deshalb umklammerten meine Hände das Nylonseil!
Als ich die Augen aufschlug, blendete mich grelles Licht. Das dicke Mädchen leuchtete mir ins Gesicht.
Ich packte das Seil fester und versuchte, mich auf den Felsen hochzuziehen.
»Schnell!«, sagte das Mädchen. »Mach schnell, sonst gehen wir beide drauf!«
Ich wollte die Beine auf die Felsplatte schwingen, schaffte es aber nicht. Ich konnte sie auch nirgendwo abstützen. Mutig ließ ich das Seil fahren, stützte fest beide Ellbogen auf und hangelte mich hoch. Mein Körper war furchtbar schwer, und der Boden war seltsam glitschig, wie von Blut. Doch Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, hatte ich nicht. Ich rutschte mit dem Bauch über die Felskante, und ein Schmerz durchfuhr mich, als würde ich ein zweites Mal aufgeschlitzt. Mir war, als würde ich von jemand mit den Stiefeln zu Boden gedrückt, als würde alles zermalmt, mein Körper, mein Dasein, mein Ich.
Trotzdem schaffte ich es, mich Zentimeter um Zentimeter hochzuhangeln. Mein Gürtel hatte sich an der Felskante verhakt; zugleich wurde an dem am Gürtel befestigten Seil gezogen. Doch das half mir in meinen Anstrengungen nicht, sondern lenkte meine Aufmerksamkeit im Gegenteil auf die Schmerzen im Bauch.
»Lass das Seil los!«, schrie ich in die Richtung, aus der das Licht kam. »Nicht ziehen! Ich schaff das schon!«
»Geht’s?«
»Es muss.«
Die Gürtelschnalle weiter an der Felskante verhakt, nahm ich alle meine Kraft zusammen, schwang ein Bein auf den Felsen und schaffte es schließlich, mich aus dem verrückten schwarzen
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