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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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platzen«, sagte sie.
    »Ich könnte noch mal zulangen«, sagte ich.
    »Ich habe Tiefkühlpizza zu Hause und eine Flasche Chivas Regal .«
    »Auf geht’s«, sagte ich.

    Sie wohnte tatsächlich nahe bei der Stadtbücherei. Sie hatte ein kleines Haus für sich, ein Reihenhäuschen zwar, doch immerhin. Mit einer richtigen Diele und einem Garten, in dem sich eine Person lang legen konnte. Der Garten schien nicht viel Sonne zu bekommen, war aber in einer Ecke mit Azaleen bepflanzt. Ein Obergeschoss gab es auch.
    »Ich war verheiratet, als wir das Haus gekauft haben«, sagte sie. »Den Kredit habe ich von der Lebensversicherung meines Mannes zurückgezahlt. Wir hätten gern Kinder gehabt, für eine Person ist es eigentlich zu groß.«
    Ich stimmte ihr zu und sah mich vom Sofa im Wohnzimmer aus um.
    Sie nahm die Pizza aus dem Gefrierschrank, steckte sie in den Ofen und brachte dann den Chivas , Gläser und Eis zum Wohnzimmertisch. Ich schaltete die Stereoanlage und das Tonband ein. Das Band, das ich wahllos herausgegriffen hatte, enthielt Musik von Jackie MacLean, Miles Davis, Wynton Kelly.
    Bis die Pizza fertig war, hörten wir noch Bags’ Groove und Surrey with a Fringe on Top. Ich trank Whiskey, sie hatte sich eine Flasche Wein aufgemacht.
    »Magst du alten Jazz?«, fragte sie.
    »Auf der Oberschule bin ich immer in Jazzkneipen gewesen, ich hab nichts anderes gehört«, sagte ich.
    »Neue Musik hörst du nicht?«
    »Police, Duran Duran, ich höre alles. Es wird ja überall gespielt.«
    »Aber du legst dir so was nicht selbst auf?«
    »Dazu besteht keine Notwendigkeit«, sagte ich.
    »Er – mein verstorbener Mann – hat immer nur Oldies gehört.«
    »Wie ich.«
    »Ja, ihr seid euch wirklich ein bisschen ähnlich. Er ist im Bus mit einer eisernen Vase erschlagen worden.«
    »Wieso denn das?«
    »Ein junger Kerl versprühte im Bus Haarspray, den wies er zurecht, worauf der dann mit der Eisenvase zuschlug.«
    »Wieso hatte der denn eine eiserne Vase dabei?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Das ist mir ein Rätsel.«
    Mir war es das auch.
    »Im Bus erschlagen zu werden ist jedenfalls ein furchtbarer Tod, findest du nicht?«
    »Das kann man wohl sagen. Furchtbar«, stimmte ich zu.
    Die Pizza war fertig. Wir aßen jeder die Hälfte, setzten uns zusammen aufs Sofa und tranken Whiskey und Wein.
    »Möchtest du mal einen Einhornschädel sehen?«, fragte ich.
    »Klar«, sagte sie. »Hast du denn einen?«
    »Keinen echten, nur eine Nachbildung.«
    »Ich würd ihn trotzdem gern sehen.«
    Ich ging zum Wagen, den ich vor dem Haus geparkt hatte, und holte die Sporttasche vom Rücksitz.
    Die Nacht war früh-oktoberlich mild. Hier und da war die Wolkendecke aufgerissen, dazwischen lugte ein fast voller Mond hervor. Morgen würde es bestimmt schön. Zurück im Wohnzimmer machte ich die Tasche auf, wickelte den Schädel aus dem Handtuch und reichte ihn ihr. Sie stellte ihr Weinglas auf dem Tisch ab und untersuchte ihn vorsichtig. »Gut gemacht.«
    »Von einem Kraniologen«, sagte ich und trank einen Schluck Whiskey.
    »Sieht aus wie echt.«
    Ich stellte das Tonband ab, holte die Zange aus der Tasche und klopfte damit auf den Schädel. Er gab sein hohes Brummen von sich.
    »Was ist das denn?«
    »Jeder Schädel hat seinen ureigenen Ton«, sagte ich. »Der Kraniologe kann daraus Erinnerungen herauslesen.«
    »Die Geschichte gefällt mir«, sagte sie. Dann klopfte sie selbst einmal mit der Zange auf den Schädel. »Der ist wie echt!«
    »Der Mann, der ihn gemacht hat, gibt sich mit halben Sachen nicht ab.«
    »Der Schädel meines Mannes war gespalten. Da kämen bestimmt keine Töne heraus.«
    »Wer weiß«, sagte ich.
    Sie stellte den Schädel auf den Tisch, nahm ihr Glas und trank einen Schluck. Wir saßen auf dem Sofa, die Schultern aneinander gelehnt, die Gläser in der Hand, und betrachteten den Schädel. Der entfleischte Tierschädel schien uns anzugrinsen, dann wieder sah es aus, als holte er tief Luft.
    »Mach ein bisschen Musik«, sagte sie.
    Ich zog aus dem Berg von Bändern wieder wahllos eins heraus, legte es ein, drückte den Knopf und ging zum Sofa zurück.
    »Ist es dir hier recht? Oder willst du lieber nach oben ins Schlafzimmer?«, fragte sie.
    »Hier ist okay«, sagte ich.
    Aus den Lautsprechern ertönte Pat Boones I’ll Be Home. Die Zeit schien in die verkehrte Richtung zu fließen, doch das war mir nun schon egal; sie mochte fließen, wohin sie wollte. Die Bibliothekarin zog am Fenster, das zum Garten ging, die

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