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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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nicht so gut, sie wird durch den Hügel davor versperrt; dennoch: ich kann ein Stück des Flusses und den Uhrturm sehen. Das Zimmer scheint lange nicht benutzt worden zu sein, die verputzten Wände sind übersät mit dunklen Flecken, die Fensterrahmen mit weißem Staub bedeckt. Ein altes Bett, ein kleiner Esstisch und zwei Stühle. Am Fenster hängen dicke, nach Moder riechende Vorhänge. Die Dielen sind ziemlich verkratzt und knarren.
    Jeden Morgen kommt der Oberst von nebenan, um mit mir zu frühstücken. Nachmittags spielen wir bei zugezogenen Vorhängen Schach. An sonnigen Nachmittagen habe ich keine andere Möglichkeit, die Zeit zu verbringen.

    »Für einen jungen Menschen wie dich ist es bestimmt hart, an einem so schönen Tag im abgedunkelten Zimmer hocken zu müssen«, sagt der Oberst.
    »Kann man wohl sagen.«
    »Für mich ist es wunderbar, ich habe endlich einen Schachpartner. Die anderen interessiert das nämlich nicht mehr.«
    »Warum haben Sie Ihren Schatten abgegeben?«
    Der Alte starrt auf seine Finger, die durch den Spalt im Vorhang in Sonnenlicht getaucht sind, löst sich aber bald vom Fenster und kehrt an seinen Platz mir gegenüber am Tisch zurück. »Tja«, sagt er. »Wahrscheinlich weil ich diese Stadt so lange verteidigt habe. Ich habe wohl gedacht, wenn ich die Stadt verließe, würde mein Leben seinen Sinn verlieren. Mittlerweile ist mir das völlig egal geworden, aber …«
    »Haben Sie je bereut, den Schatten im Stich gelassen zu haben?«
    »Nein. Ich habe nie etwas bereut«, sagt der Alte und schüttelt wiederholt den Kopf. »Kein einziges Mal. Ich habe nämlich nichts zu bereuen.«
    Ich schlage mit der Mauer seinen Affen und schaffe mir Raum, den König zu bewegen.
    »Ein guter Zug«, sagt der Alte. »Mit der Mauer schützt du dein Horn, und der König ist wieder frei. Aber ich kann jetzt meinen Springer bewegen.«
    Während er über seinem nächsten Zug brütet, setze ich Wasser auf und mache frischen Kaffee. Unzählige Nachmittage werden so vorübergehen, sage ich mir. In dieser Stadt, eingeschlossen von der hohen Mauer, hast du keine Wahlmöglichkeiten mehr.

9  HARD-BOILED WONDERLAND
APPETIT, ENTTÄUSCHUNG, LENINGRAD
    Während ich auf sie wartete, bereitete ich ein einfaches Abendessen vor. Aus geriebenen Salzpflaumen machte ich eine Salatsauce, frittierte Sardinen, Tofu und Yamswurzeln und kochte Rindfleisch mit Sellerie. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Da noch etwas Zeit war, bereitete ich noch gekochten Ingwer zu und Bohnen mit Sesamsoße; dabei trank ich eine Dose Bier. Dann legte ich mich aufs Bett, hörte alte Platten und starrte die Decke an.
    Es war schon nach sieben Uhr und draußen ganz dunkel, aber sie tauchte immer noch nicht auf. Wahrscheinlich hatte sie es sich doch noch anders überlegt. Ich konnte es ihr nicht einmal verdenken. Nicht zu kommen wäre eher normal.
    Ich suchte gerade eine andere Platte heraus, als es klingelte. Ich schaute durchs Fischauge: Vor der Tür stand die junge Frau von der Bibliotheksauskunft, Bücher im Arm. Ich öffnete einen Spalt, ohne die Kette zu entfernen, und fragte sie, ob noch jemand auf dem Korridor sei.
    »Nein, niemand«, sagte sie.
    Ich löste die Kette und ließ die Frau herein. Sofort machte ich die Tür wieder zu und schloss ab.
    »Das riecht aber gut«, sagte sie und schnüffelte ein bisschen. »Darf ich mal in die Küche?«
    »Bitte, bitte. Waren vor dem Haus vielleicht irgendwelche merkwürdigen Leute? Bauarbeiter vielleicht? Oder saß jemand im Auto, auf dem Parkplatz?«
    »Nein, niemand«, sagte sie, legte flugs die beiden mitgebrachten Bände auf den Küchentisch, ging zum Herd und lupfte alle Deckel. »Hast du das alles gekocht?«
    »Sicher«, sagte ich. »Du kannst gerne mitessen, wenn du Hunger hast. Es ist aber nichts Besonderes.«
    »Was? So etwas esse ich für mein Leben gern!«
    Ich trug die Gerichte auf und sah beifällig zu, wie sie eins nach dem anderen verspeiste. Wenn mit solcher Hingabe gegessen wird, macht Kochen Spaß. Ich briet auf großer Flamme Tofu an und aß es mit geriebenem Rettich zum Whiskey. Sie sagte beim Essen kein Wort. Ich bot ihr etwas Alkoholisches an, aber sie lehnte ab.
    »Könnte ich ein bisschen von dem Tofu haben?«, sagte sie. Ich schob ihr den Rest von meinem hin und trank nur noch Whiskey.
    »Ich habe noch Reis und Salzpflaumen, und Misosuppe geht auch schnell«, sagte ich vorsichtshalber.
    »Das wäre super«, sagte sie.
    Ich machte eine schnelle Fischbrühe, gab Algen,

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