Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt
Datenwaschen und das Shuffling erklärt hatte, wurde mir ganz anders.
»Man kann getrost behaupten, dass die Entwicklung der heute von den Kalkulatoren angewandten Rechenmethoden weitestgehend sein Verdienst ist. Ihr seid, mit anderen Worten, die fleißigen Ameisen, denen man das Know-how des Professors eingetrichtert hat«, sagte der Knirps. »Oder ist dir dieses Bild zu pejorativ?«
»Nein nein, keineswegs«, sagte ich.
»Der Professor zog sich also zurück. Und sofort kamen die Friedensangebote der Semioten. Schließlich wandern ja die meisten ausgestiegenen Kalkulatoren zu den Semioten ab. Der Professor lehnte allerdings ab. Er sagte, er betreibe Studien, die er allein verfolgen müsse. Womit er sich die Kalkulatoren und Semioten zugleich zu Feinden machte. Für die Kalkulatoren war er einer, der zu viel wusste, und für die Semioten gehörte er schlicht zu den anderen. Für die ist Feind, wer nicht Freund ist. Der Professor war sich dessen bewusst und richtete sein Labor deshalb in unmittelbarer Nähe eines Schwärzlingnestes ein. Du warst dort, nicht wahr?«
Ich nickte.
»Ein kluger Schachzug. Niemand kommt an das Labor heran. Es wimmelt dort von Schwärzlingen, und gegen die kommen weder die Kalkulatoren noch die Semioten an. Der Professor sendet beim Betreten und Verlassen des Labors den Schwärzlingen verhasste Schallwellen aus. Die ziehen sich sofort zurück, der Professor schreitet hindurch wie Moses durch das geteilte Meer. Eine perfekt verteidigte Burg. Abgesehen von der Enkelin des Professors bist du wahrscheinlich der Einzige, der je das Labor von innen gesehen hat. Was zeigt, wie wichtig du bist. Der Professor steht zweifellos kurz vor der Lösung; dich hat er kommen lassen, um seine Studien zum krönenden Abschluss zu bringen.«
Eijeijei. So viel Bedeutung war mir seit meiner Geburt nicht beigemessen worden. Dass ich dermaßen wichtig sein sollte, verursachte ein eigenartiges Gefühl. Ich konnte es nicht recht fassen.
»Wenn der Professor nur bezweckt hat, mich kommen zu lassen«, sagte ich, »waren die Labordaten, die ich für ihn kodiert habe, also nur ein Köder, waren wertloses Zeug, nicht wahr?«
»Nein, keineswegs«, sagte der Knirps. Er warf wieder einen Blick auf seine Uhr. »Diese Daten sind ein sorgfältig ausgeklügeltes Programm. Eine Art Zeitbombe. Wenn es so weit ist, gehen sie hoch: Bamm! Auch das ist allerdings nur eine Vermutung, Genaues wissen wir nicht. Dazu müsste man den Professor selbst fragen. Leider bleibt uns nicht mehr viel Zeit – wie wär’s, wenn wir unsere Plauderei an dieser Stelle beenden? Wir haben nachher noch eine Kleinigkeit zu erledigen.«
»Was ist mit der Enkelin des Professors?«
»Ja, was ist mit ihr?«, sagte der Knirps verwundert. »Wir wissen es nicht. Wir können nicht auf alles und alle ein Auge haben. Du hast was für die Kleine übrig?«
»Nein«, sagte ich. Nein, wahrscheinlich nicht.
Ohne den Blick von mir abzuwenden, erhob sich der Knirps, nahm sein Feuerzeug und die Zigaretten vom Tisch und steckte beides in die Hosentasche. »Ich denke, du hast zur Genüge begriffen, wo du stehst und wo wir stehen. Ein kleiner Nachtrag noch: Wir verfolgen einen Plan. Zurzeit verfügen wir über detailliertere Informationen als die Semioten und haben die Nase vorn. Aber im Vergleich zur Fabrik ist unsere Organisation schwach. Wenn die richtig loslegen, überholen sie uns – und machen uns dabei platt. Wir müssen die Semioten also, damit das nicht passiert, ablenken. Das verstehst du, ja?«
»Ja«, sagte ich. Das verstand ich nur zu gut.
»Aus eigener Kraft können wir das aber nicht. Folglich brauchen wir jemandes Beistand. Wessen Beistand würdest du suchen, hmm?«
»Den des Systems «, sagte ich.
»Hab ich’s nicht gesagt?«, sagte der Knirps zu dem Riesen. »Ein kluges Kerlchen!« Er sah mich wieder an. »Dazu brauchen wir nun einen Köder. Kein Köder, kein Fisch. Der Köder wirst du sein.«
»Darauf bin ich gar nicht scharf«, sagte ich.
»Ob du darauf scharf bist oder nicht, steht nicht zur Debatte«, sagte der Mann. »Uns bleibt keine andere Wahl. Apropos – da hätte ich übrigens meinerseits eine Frage: Was in deiner Wohnung hat für dich den meisten Wert?«
»Nichts«, sagte ich. »Ich habe nichts Wertvolles. Das ist alles billiges Zeug.«
»Das sehe ich. Aber ein, zwei Dinge, die du vor der Zerstörung bewahren möchtest, hast du doch bestimmt! Das mag alles billiges Zeug sein, aber du wohnst schließlich
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