Hard News
hätte.
Sie dachte sich jedoch, dass es sich um einen Unterschied handelte, den bestimmt schon jemand berücksichtigt hatte, und nur weil man nicht irgendwelche Schlösser knackte oder irgendwelche Glasscheiben zertrümmerte, würde die Strafe nicht wesentlich weniger schwer ausfallen. Der Richter würde sie vielleicht zu einem Jahr anstatt zu drei Jahren verurteilen.
Oder zu zehn anstatt zwanzig.
Zu zehn Jahren wahrscheinlich. Es würde ihr nicht helfen, dass es sich um öffentliches Eigentum handelte, worauf sie ihr Auge geworfen hatte.
Das Gebäude lag nur wenige Schritte von der U-Bahn-Station entfernt. Sie kam heraus und blieb stehen. Ein Cop mit heiser zischendem Walkie-Talkie ging vorbei. Sie presste den Kopf an den Laternenpfahl, der mit unzähligen Farbschichten bedeckt war, und fragte sich, welche Farbe er wohl früher gehabt hatte. Unter dem gleichen Laternenpfahl hatten vor hundert Jahren vielleicht Mitglieder der Gophers oder der Hudson Dusters gestanden und einen Raubüberfall geplant.
Die Straße war menschenleer, und sie schlenderte ganz locker in den alten Verwaltungsbau zum Nachtwächter hin. Coverstory und die gefälschten Ausweise waren bereit.
Zwanzig Minuten später war sie wieder draußen und hatte Mopp und Eimer gegen einen dickleibigen Aktenordner in ihrer Tasche ausgetauscht.
Sie machte an einem Telefon halt und tat, als würde sie telefonieren, während sie in dem Ordner blätterte. Sie fand die Adresse, die sie suchte, und eilte zurück zur U-Bahn. Nach zehn Minuten Warten bestieg sie einen alten Zug der Linie 4 in Richtung Brooklyn.
Rune mochte die äußeren Stadtteile, Brooklyn besonders. Sie betrachtete es als in einer Zeitschleife gefangen, als einen Ort, wo für immer die Dodgers spielten und muskulöse Jungs in T-Shirts Egg Creams schlürften und mit toughen Mädels flirteten, die Kaugummiblasen platzen ließen und ihnen in einem sexy gelangweilten Nuscheln antworteten. Wo große Einwandererfamilien, zusammengepfercht in engen, blitzartig hochgezogenen Mietskasernen, sich zankten und versöhnten und lachten und sich mit Herzen voller Liebe und Zuneigung umarmten.
Das Viertel, in dem sie nun mit vielen anderen Menschen aus der U-Bahn stieg, war eine ruhige Wohngegend. Sie blieb kurz stehen, um sich zu konzentrieren.
Sie musste nur drei Straßen weitergehen, bis sie auf das Reihenhaus stieß. Rote Backsteine mit gelben Fugen, zwei Stockwerke, ein schmaler Streifen verkümmerten Rasens. Die Hausfront war mit grellroten Tupfen übersät: Überall wuchsen Geranien – sie wucherten aus Blumenkübeln, aus Terracottafiguren in Form von Eseln und fetten mexikanischen Bauern, aus grünen Plastikblumenkästen und Milchkannen. Sie störten sie, die Blumen. Jemand, der Blumen so mochte, war vermutlich ein sehr netter Mensch. Das hieß, dass Rune in Anbetracht dessen, was sie vorhatte, eine Menge Schuldgefühle bevorstanden.
Was sie jedoch nicht davon abhielt, zur Pforte zu gehen, eine Papiertüte auf die Betonschwelle zu werfen und sie anzuzünden.
Sie klingelte, rannte in die Gasse hinter dem Haus und lauschte auf die Stimmen.
»Oh, verdammt … Was? … Diese Rowdys schon wieder … Jetzt reicht’s! Diesmal ruf ich die Cops … Nicht die Feuerwehr anrufen. Es ist nur …«
Rune raste über die Hintertreppe durch die offene Küchentür. Sie sah einen Mann, der wütend nach vorne stürmte und auf der brennenden Tüte herumtrampelte, dass Funken stoben und Qualm aufstieg. Eine pummelige Frau hielt eine Wasserkanne mit langem Ausguss und wässerte seine Füße. Dann war Rune an ihnen vorbei, unbemerkt, und rannte, indem sie zwei mit Teppich belegte Stufen auf einmal nahm, nach oben. Dort fand sie sich in einem schmalen Flur wieder.
Erstes Zimmer, niemand.
Zweites, niemand.
Drittes, Chaos. Sechs Kinder beobachteten durch das Fenster kreischend und herumtanzend die Aufregung unter ihnen.
Alle drehten sich um, als Rune das Zimmer betrat und den Lichtschalter anknipste.
»Rune!«, schrie eines von ihnen.
»Hi, Schätzchen«, sagte sie zu Courtney. Das kleine Mädchen rannte zu ihr.
Ein pummeliger, etwa zehnjähriger Junge schaute sie an.
»Was ’n das? ’n Ausbruch?«
»Psst, sag’s bloß keinem.«
»Klar, schon gut, bin ich v’leicht ’ne Petze? Haste ’ne Zigarette?«
Rune gab ihm fünf Dollar. »Vergiss, dass du …«
»… irgendwas gesehen hast. Klar. Ich weiß, wie’s läuft.«
»Komm«, sagte Rune zu Courtney. »Wir gehen.«
Sie nahm die Jacke des Mädchens
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