Hard News
gegeben, ein Stück Panzerglas, ein durchsichtiges Stilett, das an einer Seite so scharf geschliffen war, dass man damit Haare hätte abrasieren können. Metalldetektorsicher. Der Fingernagel konnte den größten Schaden anrichten, den Glas auch nur anzurichten imstande war. (»Würde Allah, du weißt schon, das gut finden?«, hatte Boggs gefragt. Und Washington hatte ihm versichert: »Allah sagt, es ist in Ordnung, Arschlöcher alle zu machen, die versuchen, auf einen loszugehen. Das hab ich Ihn persönlich sagen gehört.«)
Ascipio lachte. »Tu das weg, Mann. Schieb deine hübsche weiße Schnauze hier rüber, Mann.«
Sie würden ihn auf die Knie zwingen, dann würden die beiden anderen ihn festhalten, und Ascipio würde ihn erschlagen, und dann würde man seine Leiche in der Wäscherei finden, und die offizielle Version würde lauten, er sei die Treppe runtergefallen und dabei umgekommen.
Boggs schüttelte den Kopf.
»Wir sind zu dritt, Mann«, sagte Ascipio. »Mehr, wenn ich will. Das da« – er nickte in Richtung des Messers – »hilft dir ’n Scheiß.«
»Mann«, knurrte einer der anderen angesichts seines Ungehorsams.
Boggs rührte sich nicht. In der Messerspitze spiegelte sich blitzend die Sonne.
Ascipio kam dicht heran. Langsam. Und jetzt schaute er Boggs in die Augen. Er stand lange so da, und ihre Blicke trafen sich. Schließlich lächelte er und schüttelte den Kopf. »Okay, Mann. Weißt du was, du hast Mumm. Das gefällt mir.«
Boggs rührte sich nicht.
»Du bist okay, mein Freund«, sagte Ascipio mit Bewunderung in der Stimme. »So ’n Scheiß hat sich sonst noch keiner bei mir getraut. Du bist in Ordnung, verdammich.«
Er streckte die Hand aus.
Boggs blickte auf sie hinunter.
Ein Vogel flatterte vorbei.
Boggs drehte sich halb um, als ihn die Faust des vierten Mannes, der sich lautlos von hinten angeschlichen hatte, unter dem Ohr traf. Ein lauter Knacks, als die Knöchel von Knochen abprallten, und Boggs spürte Ascipios Hand, die sein rechtes Handgelenk packte.
Das Messer fiel zu Boden, und Boggs sah es aufprallen, sich nähern und wieder entfernen.
»Nein!« Das Wort erklang jedoch nicht als Schrei. Es wurde von dem fleischigen Unterarm des Mannes erstickt, der ihn geschlagen hatte.
Es waren keine Wärter in der Nähe und keine Beschützer von der Aryan Brotherhood, kein Severn Washington, auf dem Liebespfad war niemand bis auf die fünf Männer.
Fünf Männer und ein gläsernes Messer.
Ascipio beugte sich vor. Boggs roch Knoblauch in seinem Atem – Knoblauch aus eigenen Essensvorräten. Tabak aus einem endlosen Nachschub an Zigaretten.
»He, Mann, du bist ’n dummer Wichser.«
Nein, dachte Boggs verzweifelt. Nicht schneiden! Nicht das Messer. Nur das nicht, bitte …
Als die Klinge in Boggs eindrang, empfand er viel weniger Schmerzen, als er erwartet hatte, aber das Gefühl des Schreckens war viel schlimmer, als er gedacht hatte.
Das Messer wich zurück und senkte sich erneut in seinen Körper, und er spürte im Innern ein grauenvolles Sich-loslösen.
Dann kamen andere Schreie, aus einem Dutzend oder aus hundert Meter Entfernung. Boggs jedoch achtete nicht darauf; sie bedeuteten ihm nicht das Geringste. Das Einzige, dessen er sich bewusst war, war Ascipios Gesicht: die gemeinen Augen, die nie blinzelten oder schmaler wurden, und das Gesicht, das Kindern Vertrauen einflößen konnte.
14
Sie hörte die Nachricht auf einem anderen Sender. Nicht einmal einem der O&O, sondern einem Lokalsender. Auf dem, wo die Wiederholung von MASH lief und dessen Renner eine Talkshow war, in der es um sexuelle Ersatzgeräte und die Diskriminierung übergewichtiger Frauen ging. Runes eigener Nachrichtensender hatte die Tatsache, dass Randy Boggs niedergestochen worden war, nicht einmal einer Erwähnung wert befunden.
Rune überredete Healy mit Engelszungen, Courtney für ein paar Stunden zu sich zu nehmen. Sie hielt das selbst für einen groben Missbrauch der Beziehung, aber er war so froh, dass sie das Mädchen zurückgeholt hatte (wie genau sie das bewerkstelligt hatte, ließ sie bewusst im Unklaren), dass er sich überhaupt nicht beschwerte.
Eine halbe Stunde später saß sie im Zug nach Harrison und fragte sich, ob sie sich nicht eine Monatskarte kaufen sollte.
Über die Krankenstation des Gefängnisses staunte sie. Sie war auf einen völlig düsteren Ort gefasst. Mehr ›Hölle hinter Gittern‹, mehr Edward G. Robinson. Aber es handelte sich lediglich um eine saubere, helle
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