Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hard News

Hard News

Titel: Hard News Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
Vom Netzwerk:
ab.
    Rune warf der Kleinen ein Lächeln zu, aber sie reagierte nicht. Die Familie ging weiter.
    Mann, bin ich fertig, dachte sie.
    Als sie aber in südlicher Richtung losmarschierte, spürte sie, dass die elektrisierte städtische Nachtluft sie wach machte, und sah auf der Uhr am MONY Tower, dass es noch früh war, erst acht Uhr. Früh? Rune erinnerte sich an die Zeit, als sie um fünf Feierabend gemacht hatte. Sie ging den Broadway hinab, vorbei an dem pastellfarbenen Potpourri des Lincoln Center – wo sie stehen blieb und auf Musik lauschte, aber keine hörte. Dann ging sie weiter nach Süden und beschloss, die zwei Meilen zu Fuß nach Hause zu gehen, um wieder Blut in die Beine zu bekommen. Sie überlegte, was sie noch für ihre Story brauchte. Den Polizeibericht über den Fall Hopper in die Hände zu bekommen war Aufgabe Nummer eins.
    Dann musste sie mit allen Zeugen sprechen. Megler aufnehmen. Vielleicht den Richter interviewen. Ein paar Geschworene von damals ausfindig machen. Sie fragte sich, ob es nicht einen alten Priester gab, der Boggs kannte. Eine Art Spencer Tracy. Ach, nun ja, gewiss habe ich den kleinen Randy gekannt, und ich kann Ihnen sagen, er hat in Suppenküchen ausgeholfen und sich um seine Mutter gekümmert und jeden Sonntag die Hälfte seines Taschengelds in den Klingelbeutel geworfen, als er Messdiener war …
    Eine Menge Arbeit.
    Sie wanderte durch Hell’s Kitchen. Der Kopf schwirrte ihr, als sie die 9 th Avenue hinunterging. Enttäuscht. Die Stadtplaner hatten sich des Viertels angenommen. Schachtelartige Hochhäuser und schicke Restaurants und Supermärkte. Was ihr an dem Viertel am besten gefiel, war der Umstand, dass es früher Heimat der Gophers gewesen war, einer der härtesten Gangs in New York im 19. Jahrhundert. Rune hatte erst kürzlich etwas über frühere Gangs gelesen. Bevor sie von der Boggs-Story in Beschlag genommen wurde, hatte sie vorgehabt, eine Dokumentation über sie zu drehen. Die Schläger, über die sie hatte berichten wollen, waren die Gophers und ihre Schwestergang, der Battle Row Ladies’ Social and Athletic Club (auch bekannt als die Lady Gophers). Kein einziger Produzent hatte Interesse an dem Thema gezeigt. Die Mafia und die Kolumbianer und Jamaicaner mit Maschinenpistolen waren immer noch die aktuellen Superstars des Verbrechens, und nach Stories über Leute wie Halbe-Lunge-Curran und Sadie die Ziege und Stummel-Malarky bestand keine große Nachfrage.
    Die Füße taten ihr weh, als sie in ihr Viertel gekommen war. Sie blieb vor dem Hausboot stehen und blickte einen Moment lang auf die dunklen Fenster. Hinter ihr ging wieder eine Familie vorbei, Mutter und Vater und ihr Kind, ein goldiger Junge von fünf oder sechs Jahren. Er stellte ständig Fragen – wo fließt der Hudson River hin, welche Fische gibt es darin – und die Mutter und der Vater dachten sich zusammen alberne Antworten für den Jungen aus. Alle drei lachten laut. Rune verspürte den Drang einzustimmen, widerstand ihm aber, als sie merkte, dass sie nicht dazugehörte. Als sie vorbei waren, ging Rune über die Gangway auf das Hausboot. Sie ließ ihre Tasche an der Tür fallen und blieb, den Kopf zur Seite gelegt, lauschend stehen. Eine Autohupe, ein Hubschrauber, eine Fehlzündung. Alle Geräusche waren weit entfernt. Nichts von dem, was sie hörte, kam aus dem Hausboot, nichts außer ihrem eigenen Herzschlag und dem Knacken der Bohlen unter ihren Füßen.
    Sie griff nach der Lampe, ließ dann aber langsam die Hand sinken und tastete sich stattdessen zur Couch. Sie legte sich hin und starrte zur Decke hinauf, auf die von der aufgewühlten Oberfläche des Hudson reflektierte Lichter psychedelische Wirbel zeichneten. So blieb sie lange liegen.
    Eine Stunde später saß Rune in einem überheizten U-Bahn-Wagen, der unter der Erde raste. Sie checkte, was sie an Handwerkszeug in ihrer Tasche hatte – einen Tischlerhammer, zwei Schraubenzieher (Kreuzschlitz und Schlitz), Abdeckband und Gummihandschuhe. Ihre Ausrüstung wurde durch einen großen Eimer, einen Wischmopp und einen Plastikbehälter mit Glasreiniger vervollständigt.
    Sie dachte auch über die Rechtsprechung nach und fragte sich, ob das Verbrechen geringer eingestuft wurde, wenn es sich nicht um Einbruch und Eindringen handelte. Wenn man nur eindrang, ohne einzubrechen.
    Das war die Art von Fragen, die Sam in null Komma nichts hätte beantworten können, aber natürlich war er der letzte Mensch auf der Welt, dem sie diese Frage gestellt

Weitere Kostenlose Bücher