Hardball - Paretsky, S: Hardball - Hardball
Ihrer Cousine in den Nachrichten gesehen. Das ist eine schreckliche Sache, wenn jemand verschwindet, den man so gern hat.« Die Stimme zögerte.
Dann hörte ich im Hintergrund einen Piepser. Da rief jemand aus dem Krankenhaus an. Rose Hebert! Eine Gänsehaut überlief mich. Sie hatte Petra entführt, um mir zu zeigen, wie schrecklich es war, dass sie Lamont Gadsden verloren hatte!
»Ich dachte mir, Sie leiden sicher sehr wegen Ihrer Cousine, und ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich neulich nicht die ganze Wahrheit gesagt habe.« Sie holte tief Luft. »Als Sie mich gefragt haben, ob ich wüsste, welchen anderen Namen Steve Sawyer gehabt haben könnte, habe ich Nein gesagt. Aber das war nicht ganz richtig. Damals, in den Sechzigerjahren, haben viele Anacondas afrikanische Namen angenommen. Lamont hatte den Namen Lumumba .«
Es entstand eine lange Pause, und eine Sekunde lang fürchtete ich, dass ich anfangen könnte, hysterisch zu lachen. Petra war verschwunden und womöglich entführt worden, und Rose Hebert konnte an nichts anderes denken als an den Mann, den sie vor vierzig Jahren geliebt hatte. Es fiel mir schwer, eine passende Antwort zu finden. Am Ende fragte ich, ob sie wüsste, welchen Namen Steve Sawyer sich ausgesucht hatte.
»Nein, leider nicht. Wahrscheinlich war es ein afrikanischer Name. Johnny Merton hatte seiner Tochter auch einen afrikanischen Namen gegeben. Er war ganz versessen auf die afrikanischen Freiheitsbewegungen. Er hat Lamont gesagt, er solle alles über Lumumba lesen, und Lamont hat mir den ganzen Sommer über davon erzählt. Ich meine den Sommer, bevor er verschwunden ist. Als er versucht hat, mich zu überreden, mit ihm davonzulaufen …«
Ihre Stimme verlor sich im Nebel der Erinnerungen an ihre Jugend, als Freiheit sowohl Politik bedeutete als auch Sex. Ich fragte Rose, warum sie mir diese Geschichte mit den Namen nicht schon früher erzählt hatte. Hatte sie gedacht, ich könnte diesen afrikanischen Stolz auf die eigene Herkunft schockierend finden? Womit hatte ich ihr diesen Eindruck vermittelt?
»Ich hatte Angst, dass Sie Lamont und mich für Kommunisten halten«, sagte sie mit ihrer matten Stimme. »So wie mein Vater. Der hat immer gesagt, wer sich nach einem Rebellen nennt, ist sicher ein Kommunist. Und ich dachte, dann würden Sie vielleicht nicht mehr nach Lamont suchen.«
Ich bedankte mich und sagte ihr, ich würde Lamont jetzt auch unter seinem afrikanischen Namen suchen. »Gibt es sonst noch etwas, was Sie mir sagen möchten? Es könnte sein, dass ich in den nächsten Tagen schwer zu erreichen bin.« Sie dachte ernsthaft darüber nach, erklärte dann aber, dass es nichts weiter gäbe.
Nachdem sie aufgelegt hatte, konnte ich nicht wieder einschlafen. Mein Gehirn fing an, wild zwischen all den Gedanken herumzuspringen, die ich seit gestern entwickelt hatte. Lumumba. Ich versuchte, an Patrice Lumumba zu denken, aber es waren keine angenehmen Gedanken. Stattdessen sah ich vor mir, wie er von seinen Feinden beschimpft, gefoltert und schließlich ermordet wurde. Die Bilder verwandelten sich in die von Schwester Frances’ Flammentod, meinen Ängsten wegen Petra und auch meiner eigenen Todesangst.
Ich setzte mich auf. Ich hatte den Namen Lumumba erst kürzlich gehört. Es hatte irgendwas mit meinem Vater zu tun, aber das konnte ja wohl nicht sein. Im Gegensatz zu meiner Mutter hatte sich mein Vater für internationale Politik nie interessiert. Es konnte schon sein, dass sie mal über den Mord an Lumumba geredet hatte. Aber ich war damals noch viel zu jung, als dass ich mir den Namen gemerkt hätte.
Ich ging ins Wohnzimmer, setzte mich im Schneidersitz auf die Couch und fuhr meinen Laptop hoch. Lumumba war 1961 gestorben. Es war unmöglich, dass ich mich an ein Gespräch von damals erinnerte. Meine Suchmaschine fand noch zwei andere Personen mit dem Namen Lumumba. Der eine war ein Sänger und der andere ein Arzt in New York, aber bei genauerem Hinsehen zeigte sich, dass sie zu jung waren, um etwas mit Lamont Gadsden zu tun zu haben.
Es war jetzt zwei Uhr morgens, das Herz der Finsternis, die Zeit schlimmster Einsamkeit. Ich dachte an Morrell in Masar-i-Scharif und fragte mich, ob er wohl auch allein war oder ob seine alte Freundin Marcie Love ihm Gesellschaft leistete. Oder auch eine neue Freundin, die besser zu seiner Gemütslage passte als ich.
Es waren merkwürdige Zeiten, in denen wir lebten: das Zeitalter der Furcht mit endlosen Kriegen rund um die Welt. Nie
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