Hardball - Paretsky, S: Hardball - Hardball
Aber während ich mit Murray gesprochen hatte, war mir etwas eingefallen, und jetzt wusste ich, wo ich nicht nur einen Wagen, sondern auch ein Versteck finden konnte. Allerdings musste ich darauf achten, dass ich nicht beschattet wurde, wenn ich dorthin ging.
Ich ging zur Hochbahn, ohne mich umzusehen, und fuhr in die Innenstadt. An der Washington Street stieg ich aus und ging durch die unterirdischen Passagen ins Untergeschoss des Daley Center, wo das Verkehrsgericht und andere Zivilgerichte ihren Sitz haben. Die Eingangskontrolle dort wäre eine gute Gelegenheit gewesen, um etwaige Verfolger abzuschütteln oder zumindest zu identifizieren, aber da ich meine Pistole dabeihatte, konnte ich nicht ins Gerichtsgebäude. Stattdessen ging ich weiter durch das unterirdische Labyrinth, bis ich zu einem schicken Restaurant kam.
Das Reinigungspersonal und die hispanischen Hilfsköche warfen mir zwar misstrauische Blicke zu, versuchten aber nicht, mich aufzuhalten, als ich quer durch das Restaurant in die Küche und durch den Hinterausgang wieder hinausging. Die Tür schlug hinter mir zu. Ich befand mich in einer Tiefgarage. Niemand war mir gefolgt. Ich ging die Ausfahrt hinauf bis zur Straße und von dort wieder zur Hochbahn. Dann fuhr ich mit der roten Linie nach Norden zur Howard Street.
Es war eine lange Fahrt, und ich konnte in aller Ruhe die Passagiere beobachten, die ein- und ausstiegen. Als wir die Grenze von Evanston erreicht hatten, war ich mir ziemlich sicher, dass ich nicht verfolgt wurde. Ich wechselte in den Zug nach Evanston und fuhr drei Stationen. Als ich ausstieg, war niemand bei mir. Keine Fahrradkuriere kurvten um mich herum, keine Autos kamen mehr als einmal an mir vorbei.
Wir hatten uns in Italien getrennt, aber ich hatte immer noch die Schlüssel zu Morrells Wohnung, und ich wusste, wo die Ersatzschlüssel für seinen Honda Civic waren. Ich konnte zwar das Telefon nicht benutzen, um irgendwelche Bekannten anzurufen, aber ich konnte dort schlafen, ich konnte in der Stadt herumfahren, und ich konnte sogar die Klamotten wechseln. In Morrells Badezimmer fand ich auf der Wäscheleine meinen Lieblings- BH , von dem ich geglaubt hatte, ich hätte ihn in Italien verloren.
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Die Geschichte des Schuhmachers
Morrells Honda sprang zu meiner Erleichterung sofort an. Ich hatte schon befürchtet, nach drei Monaten in der Garage hätte sich die Batterie womöglich entladen.
Der Aufenthalt in Morrells Wohnung hatte mich melancholisch gemacht. Überall waren noch Spuren meines Lebens zu finden gewesen – im Bad ein Tiegel mit Feuchtigkeitscreme und im Schlafzimmer Sleeping Arrangements . Das hatte ich ihm vorgelesen, als er sich von seiner Schussverletzung erholte. Als ich den Orangensaft, den ich gekauft hatte, in den Kühlschrank stellte, fand ich im Tiefkühlfach noch einen Behälter mit der hausgemachten Tomatensoße von Mr Contreras.
Ich staunte wieder einmal, wie ordentlich es in Morrells Wohnung war. Die Autoschlüssel hatten genau dort gelegen, wo ich sie gesucht hatte: in der obersten Schublade seiner Schlafzimmerkommode. Seine Ordnungsliebe und meine Schlamperei waren oft genug Anlass von Spannungen zwischen uns gewesen, aber wie es schien, hatte beides seine guten Seiten: In meiner Wohnung hatte ein ganzer Suchtrupp gewütet und nichts gefunden.
Zwei Jahre hatten Morrell und ich miteinander verbracht. Er hatte mich seelisch wieder zusammengeflickt, als man mich gefoltert und auf dem Kennedy Expressway liegen gelassen hatte. Ich hatte ihm geholfen, als er in Afghanistan fast gestorben war. Wahrscheinlich war das die Voraussetzung für unser Zusammensein: der Schrecken des Todes. Als wir ins Leben zurückgekehrt waren, konnten wir die Beziehung nicht aufrechterhalten.
Sobald ich Morrells Tiefgarage verlassen hatte, fühlte ich mich verletzlich. Ich glaubte zwar nicht, dass sich meine Verfolger daran erinnern würden, dass ich einmal mit ihm zusammen gewesen war, aber da konnte ich mich auch irren. Wenn das alles vorbei war, musste ich mal daran denken, mir einen Störsender ins Auto einbauen zu lassen, damit man mich nicht mehr über GPS verfolgen konnte.
Normalerweise bin ich in solchen Situationen sehr aufgedreht. Der Stress macht mich wachsam, und zugleich bin ich überzeugt, mit allem fertig werden zu können, was kommt. Aber der Tod von Schwester Frances und Petras Verschwinden hatten mich nervös gemacht.
Tief durchatmen , sagte ich zu mir, wie beim Yoga oder beim Singen. Du musst ganz eins
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