Hardball - Paretsky, S: Hardball - Hardball
Ruhe anschauen könnte, würden sie mir genau sagen, wo Petra war und warum sie weggelaufen war. Aber als ich sie aufheben wollte, explodierten die Bilder in meinen Händen und gingen in Flammen auf. Und plötzlich hielt ich Schwester Frances mit ihrer wachsweißen Haut in den Armen, während ihr Haar brannte wie eine Kerze. Hinter ihr standen vier dunkle Gestalten und lachten: Larry Alito, George Dornick, mein Onkel und Harvey Krumas. Auch Strangwell war da. Er zeigte auf meinen Onkel und sagte: »Ihr wisst, warum sie sterben musste.«
Ich wachte schweißgebadet auf und merkte, dass ich geweint hatte. Einen Moment lang war ich völlig desorientiert. Ich dachte, ich wäre wieder im Beth Israel mit Mullbinden über den Augen, und suchte in der Dunkelheit nach der Klingel, um eine Schwester zu rufen. Erst allmählich kehrte ich zurück in die Realität. Ich stand auf und tastete nach einem Lichtschalter.
Es war schon halb acht, höchste Zeit, etwas zu unternehmen. Meine Mitmieterin hat eine Dusche in ihrer Werkstatt, weil die Schweißarbeiten sehr anstrengend sind und weil sie ihre Stahlskulpturen mit ätzenden Flüssigkeiten poliert, die sie schnell abspülen muss, wenn sie etwas verschüttet. Ich stellte mich unter den kalten Wasserstrahl und rannte dann fröstelnd in mein Büro zurück, um mich anzuziehen.
Ich nahm die Liste mit, die ich in der Nacht geschrieben hatte, und ging in das Café auf der anderen Straßenseite hinüber. Während ich auf meinen Espresso wartete, sah ich Elton Grainger auf der Straße, der wie üblich seine Obdachlosenzeitung verkaufte und jede Spende mit einer leicht wackeligen Verbeugung entgegennahm. Ich nahm meinen Kaffee und eine Tüte mit Obst, Saft, Joghurt und Gebäck entgegen und ging damit auf die Straße.
»Hallo, Elton!«, rief ich und hielt ihm die Tüte hin. »Ich hatte schon gehofft, Sie zu treffen. Wollen Sie den Saft haben? Und vielleicht einen Muffin?«
»Hallo, Vic.« Seine blutunterlaufenen Augen wichen mir aus. »Ich brauch heut nichts zu essen.«
»Zu essen braucht man immer was, Elton. Sie wissen doch, was die Ärztin bei der Veterans Administration gesagt hat, als Sie im Juni auf der Straße zusammengeklappt sind: Sie müssen aufhören zu trinken und mehr essen, damit das nicht noch mal vorkommt.«
»Das können Sie ruhig mir überlassen. Sie brauchen mich nicht zu bemuttern.«
»Okay, kein Bemuttern. Haben Sie mitgekriegt, dass vor zwei Tagen jemand in meinem Büro war und alles verwüstet hat? Ich wollte mal fragen, ob Sie vielleicht jemand gesehen haben?«
»Vic, ich hab es Ihnen schon mal gesagt: Ich bin nicht Ihr Portier.«
Ich zog einen Zwanziger aus meiner Tasche. »Ein frühes Weihnachtsgeschenk für meinen Nicht-Portier. Meine Cousine ist dabeigewesen. Ich wollte Sie fragen, ob Sie vielleicht die beiden Typen identifizieren können, die sie begleitet haben. Sie haben alle Mäntel getragen, obwohl es so heiß war.«
Er beäugte die zwanzig Dollar, dann schüttelte er den Kopf. »Ich kenne eigentlich gar keine Cousine von Ihnen. Und das ist eine Tatsache.«
»Aber Elton! Meine Cousine! Die große, hübsche Blondine! Wir haben hier zusammen auf der Straße gestanden, als Sie aus dem Krankenhaus kamen. Petra heißt sie.«
»Tut mir leid, Vic. Ich weiß, Sie haben mir das Leben gerettet und alles. Aber von einer Petra hab ich noch nie was gehört.« Er wandte sich ab, um ein junges Paar zu begrüßen, dass ins Café wollte. » Streetwise . Neue Ausgabe heute. Streetwise .«
Ich brachte ihn nicht dazu, mich noch einmal anzusehen. Schließlich drückte ich ihm den Zwanziger in die Hand und einen Blaubeer-Muffin dazu. Dann ging ich die Straße entlang bis zur Armitage Avenue.
Ich schäumte vor Wut. Irgendjemand hatte Elton so eingeschüchtert, dass er sich nichts mehr zu sagen traute. Ich hätte gestern mit ihm reden sollen, da hätte er mir vielleicht etwas gesagt. Aber wenn ihn – ganz abgesehen davon, dass ich ihm das Leben gerettet hatte – ein Zwanziger nicht mehr überzeugte, dann musste ihn jemand schon sehr unter Druck gesetzt haben.
Strangwell würde sich wohl kaum an einem Obdachlosen vergreifen. Aber er kannte sicher genug Leute, die so etwas taten. Larry Alito, zum Beispiel. Ich hatte ihn am Tag vor Petras Verschwinden zusammen mit Strangwell gesehen. Da hatte er ihm einen Auftrag gegeben. »Ich weiß, was Les will«, hatte Alito danach gesagt. Wahrscheinlich zu Dornick.
Ich drehte wieder um und ging zurück in mein Büro. Noch einmal
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