Hardball - Paretsky, S: Hardball - Hardball
nicht nach dem Namen des Informanten gefragt? War das vielleicht Lamont Gadsden gewesen?
16
Der Expolizist
»Soll das ein Witz sein, Victoria?«
Ich hatte eine volle Stunde gewartet, um mit Bobby Mallory sprechen zu dürfen. Einen hochrangigen Polizeibeamten unangekündigt in seinem Büro zu besuchen, ist nie eine gute Idee, aber zumindest war er überhaupt im Gebäude. Der Sergeant, der den Zugang zum neuen Hauptquartier an der Michigan Avenue bewachte, kannte mich zwar nicht, aber zufällig kam Terry Finchley, einer von Bobbys Assistenten, vorbei. Er war nicht gerade ein Fan von mir, aber nach einem kurzen Knurren sagte er dem Sergeant, dass es in Ordnung wäre, mich oben darauf warten zu lassen, dass der viel beschäftigte Bobby Mallory einen Augenblick Zeit für mich hatte.
Ich hatte mir vorsichtshalber etwas zu arbeiten mitgebracht, und in der Tat konnte ich einige E-Mails beantworten und einen Bericht fertig schreiben, ehe Bobby endlich den Kopf aus seinem Büro steckte und mich hereinrief.
Seine Begrüßung war zugleich herzlich und misstrauisch. Er wusste, dass ich nicht ins Polizeipräsidium kommen würde, wenn ich ihn nicht um einen Gefallen bitten wollte. Trotzdem nahm er mich kurz in den Arm, bat seine Sekretärin, mir einen Kaffee zu bringen, und begann mit Familiengeschichten. Er war gerade zum siebten Mal Großvater geworden, aber immer noch genauso stolz wie beim ersten Mal. Ich gratulierte höflich und machte mir eine Notiz, um mich daran zu erinnern, dass ich zur Taufe ein kleines Geschenk schicken musste.
»Dieser Junge, mit dem du herumziehst – ich habe gehört, dass er wieder nach Afghanistan gegangen ist? Hast du ihn vertrieben?«
»Dieser Junge ist ein erwachsener, fünfzigjähriger Mann, und wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass er Afghanistan viel aufregender findet als mich.«
Wir waren beide etwas erschrocken über die Bitterkeit in meiner Stimme. Aber ehe Bobby nachfragen konnte, wechselte ich hastig das Thema und erklärte ihm, warum ich gekommen war.
Bobby schüttelte den Kopf. »Wenn das einer von meinen Fällen war, hab ich ihn vergessen.«
»Er hat damals einiges Aufsehen erregt. Harmony Newsome war eine Bürgerrechtsaktivistin, die im Marquette Park getötet wurde. Ihre Familie hat ziemlichen Druck auf die Polizei ausgeübt, bis die Verhaftung erfolgte.«
»Ich erinnere mich trotzdem nicht.« Er lächelte achselzuckend. »Die Familien der Opfer drängen immer darauf, dass wir jemand verhaften. Aber in diesem Fall wurde ja jemand verhaftet – und auch verurteilt, nicht wahr? Worüber beklagst du dich also? War das Urteil nicht rechtens? Woher willst du das wissen? Du bist doch keine Hellseherin, oder?«
Ich presste die Lippen zusammen. »Ich habe nicht die Absicht, das Urteil anzufechten, obwohl es Gründe genug dafür gäbe. Das Protokoll war wie ein Grundkurs in Rechtsverweigerung und Verfahrensmängeln. Der Staatsanwalt konnte keine Mordwaffe vorlegen, und der Pflichtverteidiger rief keine Zeugen auf. Stattdessen haben die Ermittlungsbeamten, der Staatsanwalt und der Richter die ganze Zeit derbe Witze über die Sitten und Gebräuche der Schwarzen von der South Side gemacht.«
»Na, schön. Das Gerichtswesen von 1967 war nicht gerade politisch korrekt. Ich kann die Vergangenheit nicht mehr ändern. Wenn du mir heute sagst, dass einer meiner Beamten jemanden beleidigt, dann werde ich etwas dagegen tun.«
»Der Beamte, der den Mann verhaftet hat, war mein Vater.« Ich brachte die Worte nur mühsam heraus. »Und es gibt Leute, die sagen, er hätte dabei eine Grenze überschritten, die –«
»Ich fass es nicht!«, rief Mallory wütend. »Ich trau dir zwar alles Mögliche zu, aber dass du den Nerv hast, hierherzukommen und den Namen deines Vaters in den Dreck zu ziehen, das kann ich nicht glauben. Es hat immer nur zwei Dinge in seinem Leben gegeben, die ihm heilig waren: Gabriella und du. Der beste Polizist, der liebenswürdigste, netteste Mann und mein engster Freund – und du, du, du hast die verdammte Unverschämtheit, hier aufzutauchen und –«
»Bobby!« Ich stand auf, beugte mich über den Tisch und sah ihm flehend ins Gesicht. »Hör doch erst einmal zu! Natürlich will ich über meinen Vater nichts Schlechtes denken. Ich weiß doch besser als du, was für ein Mensch er gewesen ist. Hunderte von Polizisten hat er ausgebildet, und viele von ihnen haben große Karrieren gemacht, so wie du. Für sich selbst hat er nie etwas verlangt, das hätte nicht zu
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