Hardball - Paretsky, S: Hardball - Hardball
hätten?«
»Natürlich nicht. Ich hätte vielleicht dem einen oder anderen richtig wehtun können. Aber gegen fünf Kerle hätten wir beide wohl kaum eine Chance gehabt – es sei denn, du wärst eine echte Kung-Fu-Kämpferin.«
»Machst du Witze? Ich kann beim Basketball schon mal meine Ellbogen einsetzen, aber das ist auch alles. Kannst du mir ein paar von deinen Tricks beibringen? Ich will ja nicht immer das hilflose Prinzesschen sein und dir den Spaß ganz allein überlassen.«
Sie hatte also davon gehört, dass ich eine ausgebildete Karatekämpferin war. Ich lachte verlegen. »Ich habe schon etliche Wochen im Krankenhaus zugebracht, weil ich ein bisschen zu viel ›Spaß‹ gehabt habe. Aber ich zeig dir gern ein paar Techniken. Jede Frau sollte wissen, wie man sich in kritischen Situationen verhält. Karate besteht aber zu achtzig Prozent aus mentalen, nicht körperlichen Abwehrtechniken. Genau wie eben. Ich habe mich darauf verlassen, dass Geraldo zu viel Angst vor seiner Großmutter hat, um uns direkt vor ihrem Haus anzugreifen.«
In friedlichem Schweigen fuhren wir Richtung Norden. Mir wurde plötzlich bewusst, dass Petras Handy den ganzen Tag noch nicht geklingelt hatte.
»Ich habe es abgestellt, weil ich dachte, es stört dich, wenn ich dauernd telefoniere, aber ich hoffe, es stört dich nicht, wenn ich ein paar SMS verschicke, während du fährst.« Sie machte eine Pause. »Ich will dich ja nicht schon wieder ärgern, aber hast du nach den Sachen von deinem Vater geschaut?«
»Alles, was ich gefunden habe, waren ein Dutzend Rubine, sein Gebiss und die Pläne für die Invasion in Kanada.«
»Kanada? Warum wollte er denn in Kanada einmarschieren? Wäre nicht Mexiko besser, wo es im Winter schön warm ist?« Sie lachte. »Mal im Ernst, Vic, hast du, äh, Tagebücher oder so etwas gefunden?«
»Nein, nur ein paar alte Tonbänder von meiner Mutter und einen Baseball von den White Sox. Der ist vielleicht sogar etwas wert. Es ist ein Autogramm drauf von Nellie Fox.«
»Nellie? Für die White Sox hat eine Frau gespielt? Daddy hat mir nie –«
»Ach, Süße! ›Nellie‹ war die Abkürzung für ›Nelson‹ und nicht für ›Eleanor‹. Er war Second Baseman bei den White Sox und Träger des Golden Glove. Na ja, der Ball ist schon so abgenutzt und voller Löcher … Ich weiß gar nicht, warum mein Vater ihn überhaupt hatte. Vielleicht hat er ihn für jemand anderen aufgehoben und dann vergessen. Dein Vater ist doch ein White-Sox-Fan, oder?«
»Wir wohnen jetzt in Kansas City, da müssen wir für die Royals sein. Aber es stimmt schon: Für die White Sox hat Daddy immer noch eine Schwäche.«
Als ich Petra vor ihrer Wohnung absetzte, kehrte sie noch einmal zu unserer kleinen Auseinandersetzung mit der Straßengang zurück. »Sag bitte Daddy nichts davon, ja? Er hält mich sowieso für eine Sechsjährige, die man ständig beaufsichtigen muss, damit sie sich nicht in Gefahr bringt. Und du bist für ihn die Mega-Feministin, die allen Leuten bloß Ärger macht. Wenn er wüsste, dass ich mich tatsächlich mit dir in einer heiklen Situation befunden habe, dann steckt er mich ins Kloster, und dir zieht er die Haut ab.«
»Dazu müsste er mich erst einmal bekommen. Mach dir keine Sorgen: Ich rede sowieso nie mit deinem Vater. Vor dem Kloster bist du also – was mich angeht – sicher.«
23
Besuch bei einer Klientin
Am Sonntagnachmittag fuhr ich zum Lionsgate Manor, um endlich Miss Claudia zu besuchen. Ich hatte es satt, von ihrer Schwester und Karen Lennon auf Abstand gehalten zu werden.
Am Empfang wurde ich in die Pflege-Abteilung geschickt, und dort sagte man mir, dass ich Miss Claudia im Dachgarten finden würde. Die Oberschwester wies mich allerdings darauf hin, dass sie in schlechtem Zustand sei. Sie habe fast den ganzen Tag geschlafen, könne kaum sprechen und habe heute Morgen auch nicht zum Gottesdienst gehen können.
»Am Sonntag, wenn es keine Therapie gibt, lasse ich unsere Schlaganfall- und Demenzpatienten gern an der frischen Luft sitzen. Lassen Sie sich nicht abschrecken. Auch wenn sie kaum reagiert, versteht sie wahrscheinlich mehr, als man denkt. Sind Sie vom Sozialamt?«
»Nein, ich versuche ihren Neffen zu finden, Lamont.«
Die Schwester tätschelte meine Hand. »Das freut mich. Das ist sehr schön von Ihnen. Sie redet die ganze Zeit von ihm … soweit ich verstehen kann, was sie sagt.«
Der »Garten« erwies sich als Ansammlung von einem Dutzend Bäumchen in Kübeln, umgeben von
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