Hardball - Paretsky, S: Hardball - Hardball
wurde. Die wenigen Leute auf der South Side, die heute noch einen Job haben, arbeiten meist zu Mindestlöhnen in Fast-Food-Lokalen oder dem großen By-Smart-Warenlager an der 103ten Straße.
Die Arbeitslosenquote liegt seit zwei Jahrzehnten bei über fünfundzwanzig Prozent, und die Straßenkriminalitätsstatistik ist erschreckend. Fast immer sind Schusswaffen im Spiel. Ich manövrierte meinen Mustang zwischen den Schlaglöchern hindurch, die groß genug waren, um einen Sattelschlepper zu schlucken, und parkte schließlich direkt vor dem Haus an der Houston Avenue, in dem ich meine Kindheit verbracht hatte.
»Da wären wir«, sagte ich munter.
Aber ich hielt nicht lange durch. Der Anblick des Hauses machte mich traurig. Das Oberlicht über der Eingangstür war noch ganz, aber zwei von den bunten, bleigefassten Scheiben waren herausgebrochen. Meine Mutter war so stolz auf diese farbigen Scheiben gewesen! Sie hatten ihr das Gefühl gegeben, dass ihr Haus nicht bloß ein weiterer schäbiger Bungalow, sondern etwas Besonderes war. Sie und ich putzten das Glas jeden Monat und wischten auch liebevoll den rostigen Eisenstaub von den Rahmen.
Ich zeigte auf das runde Fenster im Dachfirst. »Das war mein Zimmer. Von da oben habe ich immer auf die Straße hinuntergeschaut, wenn ich mich nicht zum Entsetzen meiner Mutter sonstwo herumgetrieben habe.«
Petra sah mich zweifelnd an. »Was hast du denn gemacht?«
»Mein Cousin Boom-Boom und ich … Warte mal, eigentlich ist er ja auch dein Cousin gewesen. Hat dein Vater dir jemals von ihm erzählt? Boom-Boom war ein Eishockey-Star, aber vor zwölf Jahren ist er ermordet worden. Wir waren oft zusammen als Kinder. Wir sind von der Sperre in den Lake Calumet gesprungen, und im Winter waren wir dort Eislaufen. Er hat dort seinen berühmten Schlagschuss trainiert. Einmal bin ich ins Eis eingebrochen, und unsere größte Sorge war, dass es meine Mutter erfahren könnte. Wenn wir kein Geld für Fahrkarten hatten, sind wir an den Trägern der Hochbahn hochgeklettert, um zum Wrigley Field zu kommen. Und ins Stadion haben wir uns reingeschlichen, indem wir uns am Efeu hochgezogen haben, der hinter der Tribüne wuchs.«
»Das ist ja krass! Daddy hat immer gesagt, dass du eine ganz Wilde wärst, aber ich dachte, das hätte damit zu tun, weil du eine Feministin bist. Dass du als Kind so ein Rowdy warst, habe ich nicht gewusst.«
Ich lächelte. »Was hast du denn gedacht, warum ich Privatdetektivin geworden bin? Ich konnte all die Regeln im Justizapparat nicht ertragen. Und die konnten mich auch nicht ertragen. Arnie Coleman, dieser Richter, der sich auf eurer Party so auffällig an Harvey Krumas rangeschmissen hat, war mein Chef, als ich noch im Pflichtverteidigerbüro am Strafgericht gearbeitet habe. Er hat mir eine schlechte Beurteilung nach der anderen geschrieben. Vor allem, weil ich mich nicht an die County-Spielregeln gehalten habe.«
Petra hatte die Beifahrertür schon geöffnet, hielt jetzt aber inne. »Was für County-Spielregeln?«
»Im Kriminalgericht an der 26ten Straße interessierte man sich nur für Politik. Es ging nicht um Gerechtigkeit oder darum, dass man für seinen Mandanten das Beste herausholte, sondern immer nur um die eigene Karriere. Wenn dein Mandant ein gewöhnlicher Krimineller von der Straße war, interessierte sich niemand dafür. Aber sobald es auch nur einen Hauch von öffentlichem Interesse bei einem Fall gab – wenn es um Polizeigewalt oder das Söhnchen von jemandem mit Beziehungen ging, wenn der Beschuldigte ein Prominenter oder auf dem Weg nach oben war –, dann wurden die Opportunisten bei der Staatsanwaltschaft und im Büro des Pflichtverteidigers hellwach. Der beweglichste Haifisch in dieser Jauchegrube war Arnie Coleman, und er ist auch belohnt worden für seinen Opportunismus. Er ist jetzt Richter am Appellationsgerichtshof und gehört zum Gefolge von Harvey Krumas. Wenn dein Kandidat Senator wird, wird Coleman irgendwann Bundesrichter.«
»Vic!«, rief Petra mit rotem Gesicht. »Brian ist nicht korrupt! Warum bist du immer so zynisch und negativ?«
»Bin ich doch gar nicht«, sagte ich. »Aber wenn ich an die schmutzigen Tricks von Arnie Coleman denke, dann … Achtung! Wir haben Gesellschaft.«
Im Rückspiegel hatte ich eine Gruppe von jungen Männern beobachtet, die an der Straßenecke herumlungerten und so taten, als ob sie an einem rostigen alten Dodge arbeiteten. In Wirklichkeit waren sie mehr damit beschäftigt, blöde Sprüche zu
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