Hardcore Zen: Punk Rock, Monsterfilme & die Wahrheit über alles (German Edition)
angesehen, doch Darstellungen von ihm wurden immer androgyner, bis hin zu den modernen chinesischen und japanischen Abbildungen, auf denen Guanyin/Kannon fast immer weiblich ist. Eine buddhistische Geschlechtsumwandlung!
Er/sie/es (!) ist der Bodhisattva des Mitgefühls. Mitgefühl ist wohlgemerkt nicht dasselbe wie bloße Liebe. Religionen reden immer von Liebe. Doch für einen Buddhisten steht Liebe erst an zweiter Stelle – wenn überhaupt. Mitgefühl ist wesentlich wichtiger. Mitgefühl ist die Fähigkeit zu sehen, was genau jetzt zu tun ist, und die Bereitschaft, es genau jetzt zu tun. Manchmal kann Mitgefühl sogar bedeuten, überhaupt nichts zu tun. Viele wohlmeinende Leute auf dieser Welt reißen sich bei dem „Versuch zu helfen“ ein Bein aus – doch richten sie oft mehr Schaden an, als sie Gutes tun. Dumme Hilfsbereitschaft ist ebenso wenig Mitgefühl.
Prajna Paramita
Wie bereits oben erwähnt wurde, ist dieses kleine Lehrgedicht tatsächlich Teil eines wesentlich längeren Sutras. Ich persönlich habe niemals das ganze Ding gelesen. De facto wird man, abgesehen von wirklich dämlichen Akademikertypen mit Kugelschreiberetuis, nur sehr wenige Buddhisten finden, die das gesamte Sutra tatsächlich persönlich gelesen haben. Dieser Abschnitt nennt sich das Herz des Sutras der höchsten Weisheit oder kurz das Herz-Sutra. Es wird als
Herz
bezeichnet, weil es die Kernaussage des gesamten Sutras enthält.
Es ist in dem traditionellen Stil der Sutras des Mahayana geschrieben, nämlich als angeblicher Dialog zwischen Avalokiteshvara und Gautama Buddhas Schüler Shariputra, wobei Gautama selbst meditierend im Hintergrund abhängt und erst gegen Ende des Stücks auftaucht, um zu sagen: „Volltreffer, Bruder!“
Allerdings sind sich die Gelehrten einig, dass das Sutra erst ca. fünfhundert Jahre nach Gautamas Tod erschien und Avalokiteshvara in diesem Zusammenhang eine absolut mystische Figur ist. Nach der heutigen Definition müssten wir alle Mahayana–Sutras als Fiktion einordnen. Dies ist ein weiterer wichtiger Punkt, durch den sich der Buddhismus von Religion unterscheidet. Alle Religionen bestehen steif und fest auf der historischen Genauigkeit ihrer Texte, wie fragwürdig dieses Beharren auch immer sein mag. Der Buddhismus schert sich jedoch nicht darum. Es ist die Bedeutung der Texte hier und jetzt für unsere Leben, die wichtig ist – und das hat nichts mit bloßer historischer Richtigkeit zu tun.
Prajna
ist intuitive Weisheit und hat rein gar nichts mit Wissen zu tun. Prajna ist kein Bücherwissen. Das Wort
Intuition
wird heutzutage oft benutzt, um eine Art von Bauchgefühl zu bezeichnen, und so etwas Ähnliches ist Prajna – doch es ist mehr als das: Es ist
direktes Wissen
. Du denkst mit Körper und Geist zusammen. Gewöhnliches Denken ist lediglich geistige Aktivität, aber Prajna beinhaltet auch den körperlichen Bereich.
Es wäre ebenfalls ein Fehler, Prajna als emotional anzusehen. Emotionen selbst können oft eine Art von Verwirrung darstellen. Wenn ein Gefühl erst einmal so stark geworden ist, dass wir es als Emotion bezeichnen, ist es bereits zu mächtig geworden, um damit auf irgendeine klarsichtige Art und Weise umzugehen. Prajna schließt zwar Gefühl mit ein, doch es ist Gefühl auf einer subtileren Ebene.
Denk einmal an Wut. Jeder erlebt unter den einen oder anderen Umständen, wie Wut aufkommt. Doch Wut kann nur dann wachsen, wenn sie mit Gedanken gefüttert wird. Prajna ist die Weisheit, Wut zu erkennen, bevor sie zum Problem wird, klar zu sehen, warum du dich wütend fühlst und was dieses Gefühl der Wut wirklich ist (und was nicht). Das geht viel tiefer, als nur zu sagen: „Ich bin wütend, weil er mich einen Vollspacken mit Abgasatem genannt hat.“ Warum macht eine Beleidigung dich wütend? Wer ist dieses „Du“, das beleidigt worden ist? Was ist dieses „Du“, das wütend werden kann?
Prajna ist die Weisheit, bis an die Wurzeln jeder emotionalen Reaktion vorzudringen. Prajna wird durch die Praxis von Zazen entwickelt.
Das Wort
Paramita
heißt vor allem „höchstes“ (wobei es auch noch andere Bedeutungen hat), also lesen wir „prajna paramita“ in diesem Zusammenhang einfach als die höchste Weisheit, das höchste Prajna.
Shariputra
Shariputra war, wie ich schon gesagt habe, einer von Gautama Buddhas fortgeschrittensten Schülern. Er war ein Typ mit einem besonders klaren Verständnis der komplizierten Erklärungen zur „Leerheit“ (mehr zu diesem Konzept
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