Harka der Sohn des Haeuptlings
Wachen mußten draußen aushalten, sie waren in weitem Umkreis aufgestellt.
Die Pferde waren so müde wie die Menschen, und nachdem sie den größten Hunger gestillt hatten, drängten sie sich zusammen, um Wärme aneinander zu finden. Manche legten sich hin. Die Hunde schnüffelten noch nach Nahrung, aber es gab jetzt kaum Abfall von den Mahlzeiten der Menschen für sie, und so begaben sich die Unternehmungslustigen auf Jagd in die nachtdunkle Prärie. Ein paar Kojoten, die nicht weit vom Lager gekläfft hatten, verzogen sich schleunigst.
Harka saß mit Untschida, Harpstennah und Uinonah im Hintergrund des Zeltes so, wie am Morgen dieses ereignisreichen Tages. Feuer war in keinem Zelt angefacht. Der Rauchgeruch hätte den Feinden den Rastplatz auf viele Kilometer hin verraten können.
Die Kinder des Häuptlings waren erschöpft und traurig. Jetzt, des Abends im Zelt, fehlte die Mutter ihnen noch mehr als tagsüber auf dem Ritt, und sie empfanden die Leere. Keines wollte schlafen gehen. Vor dem Schlafen fürchteten sie sich an diesem Abend trotz ihrer Erschöpfung, und Untschida drängte die Kinder nicht. Sie sang leise ein Klagelied vor sich hin. Es war voller tiefer Betrübnis, und doch wollten die Kinder es hören. Untschidas Stimme klang so tapfer und voller Liebe, und die Kinder fühlten sich bei ihr beschützt.
Von draußen her hörten die vier Menschen im Zelt ganz andere Töne. Sie drangen herein und mischten sich mit Untschidas Klagelied. Füße stampften regelmäßig auf dem Grasboden zwischen den Zelten, die Frauenstimmen sangen monoton. Das waren die jüngeren Frauen, die die frischen Skalpe der getöteten Pani umtanzten. Der Tanz der Frauen war kein Triumphtanz, sondern eine Beschwörung. Die Indianer glaubten, daß kein Feind ganz überwunden sei, ehe sein Geist versöhnt war. Die Frauen sollten mit ihrem Tanzen und ihrem Gesang um die Skalpe die Geister der Feinde zur Ruhe bringen.
Das wußten auch die Kinder.
Harka, der mit den beiden jüngeren Geschwistern im dunklen Zelt bei Untschida saß, hatte das erbeutete Mazzawaken quer über die Knie genommen und betastete es. Er haßte diese Waffe, die seine Mutter getötet hatte, und zugleich fühlte er sich damit verbunden. Diese Waffe sollte wieder gutmachen, was sie Böses getan hatte. Mit dieser Waffe wollte er seine Mutter rächen. Pani wollte er damit töten. Die Männer mit den kahlen Schädeln und den kecken Skalplocken am Wirbel erschienen ihm nicht wie Menschen. Dakota waren Menschen, so dachte er. Pani waren wie Wölfe, die man töten mußte.
Harka wollte nicht warten, bis er ein Krieger war. So viele Jahre wollte er nicht warten. Er hatte das Mazzawaken erbeutet, es gehörte ihm. Er mußte das Geheimnis dieser Waffe ergründen und sie gebrauchen lernen. Wer konnte ihm dabei helfen? Niemand in den Zelten. Nicht einmal der Vater wußte damit umzugehen.
Während Harka nachdachte, hatte Uinonah den Kopf auf Untschidas Schoß gelegt, als ob sie so schlafen wollte. Aber sie schlief nicht.
Draußen tanzten und sangen die Frauen noch immer. Ein Kulttanz dauerte viele Stunden.
Mattotaupa war nicht in seinem Zelt. Wahrscheinlich beriet er noch mit Hawandschita und Sonnenregen, ob und in welcher Richtung die Bärenbande am nächsten Tag weiterwandern sollte.
Es wurde spät, und Harpstennah und Uinonah schliefen endlich ein. Als der Häuptling in sein Zelt kam, war nur Harka noch wach. Er schaute nach dem Vater. Der Häuptling hatte beim Eintreten den Zeltschlitz ein wenig offengelassen, so daß ein fahler Schimmer der Mondnacht hereinfiel. Mattotaupa setzte sich allein an die kalte Feuerstelle in der Mitte des Zeltes, stopfte seine kleine Pfeife und rauchte.
Schließlich sah er nach Harka. Der Junge saß noch an der gleichen Stelle im Zelthintergrund; er hatte den Kopf gehoben und hielt das Mazzawaken nach wie vor quer über den Knien. Seine Haltung hatte etwas Verkrampftes.
Der Vater winkte ihm heranzukommen. Harka legte die Waffe sehr vorsichtig zu Boden, denn er war nie ganz sicher, wann sie etwa wieder unvorhergesehen knallen würde. Dann ging er zum Vater hin.
»Du hast heute schnell, entschlossen und richtig gehandelt«, lobte der Häuptling seinen ältesten Sohn. Harka freute sich über die Anerkennung, aber auf eine andere, ernstere Art als sonst.
»Das Mazzawaken ist deine Beute«, sprach der Häuptling weiter.
»Ja.« Der Knabe war stolz. Die Worte des Vaters konnten nichts anderes bedeuten, als daß er, Harka, die Waffe behalten
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