Harlekins Mond
angesehen hatte, dann Rachel, und wie er zum Schluss reglos dagestanden hatte, einen zornigen, verlorenen Ausdruck im Gesicht. Nach einer Zeit, die sie als sehr lang in Erinnerung hatte, war er zurückgekommen und hatte Rachel mit zitternden Armen fest an sich gedrückt.
Seit dieser Zeit hatte sie ihre Mutter nicht mehr gesehen. Das Gesicht ihres Vaters war bar jeden Ausdrucks gewesen, als er ihr erklärt hatte, Kristin sei auf die John Glenn gegangen. Innerhalb von ein paar Wochen hatte er aufgehört, von ihr zu reden. Doch manchmal bemerkte Rachel, wie er über die violett und rosa bestickten Vorhänge strich, die ihre Mutter genäht hatte, und wie er aus dem Fenster starrte.
Es war, als sei sie gestorben.
Der Flieger legte sich in eine Kurve, und die Veränderung ihrer Seitenneigung holte Rachel zurück in die Gegenwart.
Gabriel flog voller Entschlossenheit und trieb das kleine Flugzeug bis nahe an seine Leistungsgrenze. Er war absolut konzentriert. Er und Ali redeten zu leise und schnell, als das Rachel Genaueres hätte verstehen können. Eine halbe Stunde verging, bevor Gabriel die Geschwindigkeit drosselte und die Nase des Flugzeugs hochbrachte, eindeutig in der Absicht zu landen. Am Boden unter ihnen war nichts zu sehen; keine Leute, keine Fahrzeuge und ganz sicher kein Schutzraum.
Niemand sprach, als Gabriel den Flieger landete. Rachel schaute auf ihr Armbandgerät. Fast eine Stunde war vergangen. Sie würden die Strahlung nicht sehen. Würde das Sonnenlicht heller werden als sonst? Und was würde geschehen, wenn sie mit ihrer Zeiteinteilung danebenlagen?
Gabriel zog einen Rucksack unter seinem Sitz hervor, kletterte aus dem Flugzeug, blieb neben der Tür stehen und half ihnen nacheinander hinaus. »Wir mussten ein kleines Stück von dem Schutzraum entfernt landen. Das hier war der nächstgelegene Straßenabschnitt, der lang genug war, um das Flugzeug sicher herunterzubringen. Wir haben genügend Zeit. Folgt mir, bleibt dicht beieinander!«
»Aber wohin –«, setzte Ursula zu einer Frage an.
»Sie haben Schutzbunker entlang der Sea Road gebaut«, flüsterte Harry. »Zu so einem müssen wir unterwegs sein …«
Das Sonnenlicht sah nicht anders aus als sonst.
Keiner von ihnen hatte seine Schwingen dabei. Rachel geriet bei dem wilden Lauf auf unebenem Untergrund rasch außer Atem. Gabriel hatte, während er rannte, auf einer Seite Harry an der Hand gepackt und auf der anderen Seite Ursula, und zog die beiden in größere Schritte hinein als sie aus eigener Kraft geschafft hätten. Ali fasste Rachel an der Hand und zog sie mit sich. Trotz ihrer längeren Beine konnte Rachel mit der kleineren Frau kaum mithalten, und Rachel fragte sich, wo Ali ihre Kräfte hernahm.
Sie rannten, bis Rachels Atem in kurzen, verzweifelten Stößen ging.
Rachel spürte, wie der Zug von Alis Hand plötzlich nachließ und sie sie zurückhielt. Gabriel war an einer Stelle stehen geblieben, an der eine hohe, mit auffallenden gelben Fähnchen und grünen Bändern markierte Metallstange aus dem Boden ragte. Er grub unterhalb davon in der Erde. »Harry, Rachel, helft mir«, rief er.
Zu fünft schoben sie hektisch Sand und kleine Steine beiseite, bis sie eine in den Boden eingelassene Metallplatte mit einem Handgriff freigelegt hatten. Gabriel beugte sich hinunter und zog; er stemmte sich mit seiner ganzen Körperkraft gegen das Gewicht der Luke. Sie ließ sich nicht öffnen.
Harry ging hinüber zu der Metallstange und versuchte, sie aus dem Boden zu ziehen. Auch hier kein Erfolg. Rachel erkannte, was er vorhatte, lief zu ihm hinüber und begann ebenfalls zu zerren. Sie bewegten die Stange im Kreis, um den Boden zu lockern und sie so leichter herausziehen zu können. Zuerst geschah nichts, dann spürten sie eine leichte Bewegung, und dann wieder nichts. »Ursula!«, rief Rachel.
Ursula wandte sich zu ihnen um, und dann meinte Ali: »Gute Idee!« und kam ihnen ebenfalls zu Hilfe. Als sie mit vier Paar Händen daran zogen, glitt die Stange schließlich aus dem Boden. Sie trugen sie hinüber zu Gabriel, und er führte sie unter dem metallenen Türgriff hindurch, um sie als Hebel zu benutzen. »20 Minuten!«, teilte Ali ihnen mit.
Gabriel antwortete nur mit einem Grunzen. Mit vereinten Kräften zogen sie die Stange aufwärts, und von zwei Stellen an der langen Kante der Bodenluke stiegen kleine Staubwölkchen auf. »Jetzt-stärker!«, stieß Gabriel hervor, quetschte die Worte zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch, sodass
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