Harlekins Mond
liefen. Nun hatten sie alle im Laufe der letzten paar Tage einen Bruder verloren.
John kam heran und legte Beth behutsam die Hand auf den Rücken. »Es ist für euch an der Zeit, wieder zu gehen.« Er sagte es leise, aber entschieden, mit seiner Kommandantenstimme.
Beth fragte: »Kann Rachel mit uns kommen? Die anderen wollen sie auch sehen. Harry, Gloria …«
John schüttelte den Kopf. »Wir brauchen sie hier im Moment dringender als ihr. Und sie muss sich ausruhen.«
Der Bau der Brücke musste von der Seite des Rates aus begonnen werden. Rachel legte Beth ihre Hand auf den Arm und sagte: »Er hat recht. Sag allen, dass ich bald wieder bei ihnen sein werde. Oder dass wir uns sehen, wenn wir nach Camp Clarke zurückkommen.«
Gabriel warf ein: »Das könnte noch einige Tage dauern.«
Sarah machte ein langes Gesicht; Beth sah einfach nur resigniert aus.
»Beth – danke, dass du bei den anderen geblieben bist, als ich dich dort gebraucht habe. Wie es aussieht, bleibt diese Aufgabe noch eine Weile dir überlassen – kümmere dich um alle, ganz besonders um deinen Vater.« Beth nickte, und Rachel wandte sich Sarah zu. »Und du, Sarah, du kümmerst dich um Beth!«
Sarah lächelte, als würde die Tatsache, dass ihr Verantwortung übertragen wurde, alles ändern. Beth schaute Gabriel und Ali an. »Dann müsst ihr euch für uns um Rachel kümmern.« Sie blickte ernst und würdevoll drein. Ohne auf eine Antwort zu warten schob sie Sarah zur Tür hinaus.
Star und Shane kamen herein. Shane sah aus, als ginge es ihm gut, doch andererseits machte er diesen Eindruck eigentlich immer. Seine Kleidung war zerknittert. Star hatte dunkle Ringe unter den Augen, ihr Haar war ungekämmt und sie bewegte sich langsam. Treesa stellte beiden Kaffee hin, dann machte sie sich an eine Durchsuchung der Schränke und fand Trockenobst und salziges Gebäck.
»Wie sind die Werte an der Oberfläche, Gabe?«, fragte Shane.
Gabriel rief ein neues Datenfenster auf. »Ich bekomme sporadisch ein paar Daten. Die Messwerte deuten darauf hin, dass die Strahlung in der Luft nur Restspuren hinterlassen hat. Wahrscheinlich können wir in ein paar Stunden hinaufgehen und uns umsehen.«
Treesa kam herüber und legte Star eine Hand auf die Schulter. »Wie geht es Ihnen?«
Star hob fahrig die Hände, wie um sie sich vors Gesicht zu schlagen, bevor sie sie wieder auf den Tisch sinken ließ. »Ich muss andauernd daran denken, dass ich Sheila nicht hätte töten müssen. Ich habe das nicht gewollt; was wäre schon passiert, wenn ich mich einfach weiter hätte festhalten lassen? Zehn Minuten, nachdem ich geflohen bin, waren Gabriel und Ali im Lagerhaus. Hätte ich nicht noch diese zehn Minuten warten können?«
Treesa lächelte auf die jüngere Frau hinunter. »Auf manche Dinge erhält man nie eine Antwort. Vielleicht hätten die Sie auch umgebracht.«
»Ich bin froh, dass dir nichts passiert ist«, sagte Shane, kam herüber und nahm Star in die Arme. »Ich hatte Angst, ich würde dich verlieren.«
John schaute Gabriel an. »Und – meinst du, wir können nach oben gehen und uns umschauen?«
Gabriel nickte. »Wenn wir mit dem Essen fertig sind. Wir empfangen wieder Datenströme von einigen der Sensoren, und den Messergebnissen nach ist die Luft sauber. Wollt ihr mit mir kommen?«
John und Treesa riefen beide wie aus einem Mund »Ja!«
Star schüttelte den Kopf und löste sich aus Shanes Umarmung, blieb jedoch nahe bei ihm. »Ich möchte hierbleiben und helfen.«
Shane sah sie an. »Das können auch andere übernehmen. Es gibt hier unten genügend Leute, die alles am Laufen halten.«
»Ich weiß. Aber ich möchte trotzdem bleiben. Ich will noch nicht wieder hinauf. Ich war da oben zuständig – wir beide waren zuständig –, als das alles passiert ist. Wir müssen noch bleiben.«
Rachel rutschte ruhelos herum, sie war unsicher, was sie tun wollte und was man ihr gestatten würde. Sie begegnete Treesas Blick, und Treesa lächelte. »Sich mit etwas zu beschäftigen ist notwendig«, sagte sie. »Es ist Teil des Heilungsprozesses.«
Rachel dachte an die Leichen. »Könntest du mir helfen, Dylan und Andrew zu begraben?«
»Sicher können wir das«, sagte John. »Das hätten wir schon viel eher erledigen sollen.«
»Dann werde ich auch hinaufgehen.« Sie fühlte sich plötzlich eingeengt. Sie brauchte freien Himmel über sich und Selenes Erde unter den Füßen.
KAPITEL 73
DAS HALBVOLLE GLAS
Gabriel stand auf dem Weg, der auf dem Kamm des
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