Harlekins Mond
Bestimmt ist sie wütend. Ich muss zu ihr und ihr erklären …«
»Bleib doch noch«, flüsterte Harry, und Rachel ließ sich zurücksinken, während sie sich im Geiste Ursulas Gesicht ausmalte, den Ausdruck von Abscheu, den sie gehört hatte, ohne ihn zu sehen.
»Ich … ich habe ihr nie etwas von uns erzählt. Sie wird es nicht verstehen. Ich wusste nicht, wie ich es ihr sagen sollte. Sie … sie …«
»… mag mich nicht«, führte er ihren Satz zu Ende. »Ich weiß. Ich will damit nicht sagen … ich schätze, sie ist schon in Ordnung, aber sie braucht so viel Hilfe. Nicht so wie du – dir fällt alles leicht. Du und ich, wir lieben unsere Arbeit hier. Wir kümmern uns um Selene. Ich habe das Gefühl, Ursula kümmert sich um das, was du denkst, mehr als um irgendetwas sonst.« Seine Hand lag auf ihrem Nabel, bewegte sich sanft auf ihrem Bauch.
»Sie ist … einfach nur weniger selbstsicher.« Rachel versuchte, in ihrem Atem wieder zu ihrer Zweisamkeit zurückzufinden. »Du verstehst sie nicht.«
»Sie hält dich auf.«
»Aber sie ist meine Freundin. Ich … ich muss zu ihr! Wir sehen uns morgen wieder.«
Er sah erst verblüfft aus, dann traurig. »Geh nicht«, bat er. Als sie nicht antwortete, sagte er: »Ich verstehe. Morgen. Alles klar.«
Sie langte hinauf und küsste ihn, nahm sich ein paar Augenblicke Zeit, und ihre Zungen berührten sich. »Ich muss gehen.« Sie drückte sich von ihm weg und stand auf; sie fühlte sich ein wenig unsicher auf den Beinen, als die Sanftheit einem Gefühl der Verwirrung wich.
Sie flog allein zurück; die kühle Nachtluft ließ sie frösteln. Ursula nahm in dieser Nacht Rachels Anrufe nicht entgegen. Rachel sehnte sich nach Harrys Berührungen, doch konnte sich nicht dazu bringen, ihn aufzusuchen, nachdem sie ihn so abrupt verlassen hatte.
Als Rachel am nächsten Morgen erwachte, saß Ursula im Schneidersitz draußen vor ihrem Fenster. Rachel schlüpfte hinaus an die kühle Luft, sorgsam darauf bedacht, keinen Lärm zu machen, der ihren Vater hätte wecken können, und machte sich auf den Weg zum Stadtrand. Ursula folgte ihr schweigend; sie sah zornig und erschöpft aus. Rachel fragte sich, ob ihre Freundin überhaupt geschlafen hatte.
Rachel ging so lange weiter, bis sie das Schweigen nicht mehr aushielt; schließlich blieb sie am Rande der Zeltstadt bei einer Reihe von Palmen stehen. Was sollte sie sagen? »Ursula … Ich wusste, dass dir das nicht gefallen würde.«
»Wie konnte denn das passieren? Dieser Kerl ist doch ein blöder Fiesling. Er ist genau wie Andrew.«
»Er ist nicht wie Andrew. Nicht mehr. Ich bin nicht einmal sicher, ob er das jemals war.«
»Und wieso sagst du mir nichts? Wie konntest du so was vor mir –«
»Es tut mir leid.« Rachel blieb stehen und blickte Ursula in die Augen. Sie würde nicht wie Andrew irgendeine unaufrichtige Entschuldigung murmeln. »Das war falsch von mir.«
»Dann wirst du dich also nicht mehr mit ihm treffen? Du wirst damit aufhören?«
»Es war falsch von mir, es dir nicht zu sagen.«
»Wirst du damit aufhören?«
»Er bedeutet mir etwas.«
»Aber –«
»Ich weiß, dass er manchmal mit Andrew herumhängt. Aber er ist nicht wie Andrew. Es gibt eine Menge, worüber wir miteinander reden können – er sieht viele Dinge so wie ich.«
»Und das tue ich nicht?« Ursulas Stimme klang noch immer belegt und voller Ablehnung.
Rachel setzte sich hin und stützte das Gesicht in die Hände. »Ursula, mit Harry ist es anders. Wenn ich mit ihm zusammen bin, bekomme ich ein ganz weiches Gefühl im Bauch.«
»Igitt!« Ursula stand über Rachel und schaute auf sie herab.
»Ich meine … ich meine …«
»Du hast ein Geheimnis gehabt. Vor mir! Und die ganze Zeit, während ich hier festsitze, kilometerweit weg von dir, spielst du herum … mit ihm … und du rufst mich nicht an, und ich –«
»Ich sagte doch schon, es tut mir leid.« Es fiel ihr schwer, sich in Geduld zu fassen. »Ich wusste, dass dir das nicht gefallen würde. Wie hätte ich es dir erklären sollen?«
»Du bist seit drei Tagen hier.«
»Ich weiß. Aber du wolltest über andere Dinge reden.«
»Ich habe doch nur … Rachel, ich bin hier so einsam gewesen.«
»Ursula, du bist meine beste Freundin. Ich bin nicht losgezogen mit der Absicht, deine Gefühle zu verletzen. Aber ich mag es, was er mit … ich mag ihn. Das heißt doch nicht, dass ich mir nichts mehr aus dir mache. Ich meine, mit wem habe ich denn zwei Tage nonstop verbracht, nachdem ich
Weitere Kostenlose Bücher