Harlekins Mond
vorhersehbar – ihre Entscheidungen waren nicht immer logisch.
»Ich weiß«, erwiderte Gabriel, »und ich stimme auch allem bei, was der Hohe Rat entscheidet, aber trotzdem sagt mir irgendetwas, dass Kyu recht hat und wir gut daran täten, uns Vertrauen ebenso sehr wie Respekt zu erarbeiten.«
»Kann man euch denn vertrauen?«
»… verdammt!«
»Sei weiterhin für alle Möglichkeiten offen. Du weißt sehr wohl, dass andere deine Versprechen brechen können.«
»Du bist mir wirklich eine große Hilfe!«, bemerkte Gabriel vorwurfsvoll, während er in den Korridor zu Rachels Quartier einbog. »Und was dich selbst angeht – du tust nichts, hörst du? Beobachte, so viel du willst, aber wenn du irgendetwas anderes unternimmst als aufzupassen und das Schiff zu fliegen, wird Liren eine Sicherungskopie von dir hochladen, und ich darf dann zwei Monate damit zubringen, deinem jüngeren Selbst alles zu erklären.«
Rachel blickte auf und lächelte fröhlich, als Gabriel ihr Quartier betrat. »Hi, Gabe«, rief sie und überraschte Astronaut mit ihrer Ungezwungenheit.
Gabriel erwiderte Rachels Lächeln. »Also«, sagte er, »Kyu ist offenbar der Ansicht, dass du dich bis jetzt ziemlich gut machst. Wie fühlst du dich?«
»Müde«, erklärte Rachel, »und aufgeregt. Ich bin so froh, dass du mich hierher mitgenommen hast! Es gibt so vieles, was ich nie hätte verstehen können, wenn ich nicht hierher gekommen wäre. Ich kann jetzt schon Selenes Urwald vor mir sehen, wenn wir mal damit fertig sind. Ich habe mich mit meinem ganzen Gewicht an Lianen wie die gehängt, die wir in klein gepflanzt haben. Ich liebe es, die ausgewachsenen Versionen von dem zu sehen, was wir unten anbauen. Ich werde jetzt eine bessere Landschaftsgärtnerin sein. Und ich möchte auch ein paar Dinge in meiner Parzelle ändern.«
»Gut. Du wirst sehr hart studieren müssen. Die Leute hier haben bereits eine Vorstellung davon, was du kannst, aber deine Zeit hier wird schwerer werden als alles, was du aus dem Unterricht bei mir kennst. Es wird dir vielleicht vorkommen, als müsstest du dich ihnen wieder und wieder beweisen.«
Astronaut verfolgte die Interaktion der beiden aufmerksam. Rachel nickte und versprach, sie werde hart arbeiten. Dann begann sie Gabriel mit Fragen zu bombardieren. Sie hielt sein Interesse stundenlang wach, indem sie fragte und forschte und lernte. Gabriel blieb bei ihr, bis sie kaum noch die Augen offen halten konnte.
Sobald er hinaus auf den Korridor getreten war, sagte Astronaut: »Ich verstehe jetzt, was dich an ihr beeindruckt.«
»Und das wäre?«
»Sie ist wirklich sehr schnell. Sie hat vieles von dem, was du erzählt hast, nachvollzogen; dabei müssen nahezu sämtliche Konzepte neu für sie gewesen sein.«
»Ich bin stolz auf sie«, pflichtete ihm Gabriel bei.
»Ich würde gern mit ihr reden«, sagte Astronaut. Voraussetzung war jedoch, dass sie darum bat …
»Nicht bevor sie vollen Zugang zur Bibliothek besitzt.«
»Weiß sie, dass ich existiere?«
»Ich habe dich ein-, zweimal erwähnt.«
KAPITEL 18
TREESA
Rachel winkte Kyu, als die Hohe Ratsfrau sie für den Rest des Morgens allein ließ. Dann strich sie sich die Haare aus den Augen und machte sich daran, unter Blättern nach Rotäugigen Baumfröschen zu suchen. Ihre Aufgabe bestand darin, so viele Frösche wie möglich zu finden und DNA-Proben zu nehmen, um sie mit Bestandsaufzeichnungen von der Erde zu vergleichen.
Rachel stellte sich die Frösche in Freiheit auf Selene vor. Gloria würde sie lieben. Sie liebte alles Bunte, und die leuchtend roten Augen der Frösche würden sie faszinieren. Harry würden sie auch gefallen.
Rachel und Harry schickten einander jeden Tag Mitteilungen, doch was sie wirklich wollte, war, ihn zu sehen, ihn in den Armen zu halten, ihr Gesicht an seine Schulter zu legen, ihn in ihren Körper aufzunehmen. Sie wollte das Lächeln ihres Vaters sehen, wenn er zur Tür hereinkam und feststellte, dass sie zu Hause war. Von daheim erfuhr sie viele Neuigkeiten: Ihr Dad hatte sich den Knöchel verstaucht, Andrew war zurück, und Ursula hatte es bei der Feldarbeit schwer; sie liebte das Pflanzen, doch die Maschinen jagten ihr immer noch Angst ein. Manchmal, wenn Rachel nach einem anstrengenden Unterrichtstag zurück in ihr Quartier kam, schloss sie die Tür, drückte den Rücken dagegen und zitterte, weil sie Selene so sehr vermisste.
Jeder Tag kam ihr vor wie eine neue Prüfung. Heute ging es zweifellos darum, ob sie genügend
Weitere Kostenlose Bücher