Harlekins Mond
Darstellung des Planetensystems. Apollo ruhte im Zentrum, in engem Abstand umkreist von Dädalus, der relativ schnell durch den leeren Raum wirbelte. Apollo und sein innerster Begleiter schwebten über dem Mittelpunkt von Rachels Bett.
»Wow«, sagte sie laut und streckte eine Hand nach Dädalus aus. Er sah aus, als sei er solide. Ihre Hand ging durch den Gasriesen hindurch und verzerrte das Display zu farbigen Strahlen. Eine Bewegung am Rand ihres Blickfelds erregte ihre Aufmerksamkeit, und sie wandte sich um. Ganz weit draußen, beinahe an der Wand ihres Zimmers, erkannte sie Harlekin, umgeben von einem Nest winziger Punkte. Einer der Punkte blinkte: Selene. *
Rachel verfolgte den Anblick lange Zeit wie gebannt. 60 Grad vor Harlekin auf der Krümmung seiner Umlaufbahn befand sich eine Hand voll glitzernden Staubs, und eine weitere, kärglichere Ansammlung 60 Grad hinter ihm. Rachel fuhr zusammen, als ihr Armbandgerät sie aufforderte, einen Blick vor die Tür zu werfen; dort sah sie einen dritten Gasriesen, der wie ein Geist den Gang entlangwanderte, dann ein weiteres Gestöber aus glitzerndem Kies – winzige Felsen, fast zu klein, um sie zu sehen. Ein vierter gewaltiger Planet tauchte für einen kurzen Augenblick hinter dem Durchgang am Ende des Korridors auf. Rachel rannte zu dem nun leeren Durchgang, doch von dort aus war nichts mehr zu sehen.
Sie richtete eine entsprechende Anfrage an die Bibliothek. »Gibt es hier nicht noch einen weiteren Planeten?«
»Er befände sich derzeit außerhalb des Schiffes.«
Rachel kehrte in ihr Quartier zurück, zog die Beine unter sich und nahm eine der Yoga-Haltungen ein, die Gabriel ihr beigebracht hatte. Vor ihr rotierte Dädalus um Apollo, und sie beobachtete Harlekin und Selene, die an den äußeren Grenzen ihres Zimmers entlangzogen.
Das System war so groß. Selene sah in der Darstellung winzig klein aus. Die John Glenn wäre zu klein gewesen, um sie noch zu sehen. Und sie selbst war sogar noch viel kleiner, ein winziges Pünktchen in einem winzigen Schiff in der Nähe eines kleinen Mondes. Wie groß war die Erde? Und wie groß Ymir? Beide würden ungefähr die gleichen Ausmaße besitzen – in etwa das 10- bis 20fache der Masse von Selene. Rachel erinnerte sich, dass Kyu ihr gesagt hatte, beide seien so weit von Apollo entfernt, dass man mit bloßem Auge nicht einmal ihre Sonnen erkennen konnte.
Rachel saß ganz still da und atmete so leise sie konnte, bis ihre Tränen Selene zu einer Kette von Juwelen verschwimmen ließen und Harlekin zu einem Ball aus farbigem Nebel wurde.
KAPITEL 21
BEFEHLE
Astronaut hatte immer ein offenes Ohr für Treesas Anfragen.
An diesem Tag klang sie beharrlich. »Und, bist du heute da?«
»Ja, Treesa, ich bin hier. Worüber möchtest du reden?« Astronaut überließ es stets ihr, wie sie ein Gespräch beginnen wollte. So wurde er immer wieder aufs Neue überrascht.
»Lass uns über Rachel reden, und über ihre Leute.« Treesa saß im Schneidersitz auf dem Dach ihrer Behausung. Sie hatte sich die Haare gekämmt und ein sauberes grünes Hemd gefunden.
»Ich habe nie mit ihr gesprochen.«
»Natürlich nicht. Dazu würde sie nach dir fragen müssen. Und sie weiß noch nicht genug, um irgendetwas Nützliches zu fragen.«
»Sie stellt Gabriel und Kyu gute Fragen zu den Lektionen, die sie lernt.«
Treesa lachte. »Sie sollte lieber versuchen, etwas über sich selbst und ihre Situation in Erfahrung zu bringen. Sie sollte erfahren, was mit ihr und ihren Leuten geschehen wird, sofern nicht jemand etwas daran ändert.«
»Jemand?«, erkundigte sich Astronaut. Wie war es heute um Treesas geistige Klarheit bestellt?
»Jemand wie sie selbst. Ali sieht das Problem. Das tut Liren auch, aber Liren steht auf der falschen Seite, und Ali hat keinen großen Einfluss.«
»Ali ist eine Freundin von Gabriel. Vielleicht besitzt sie einen gewissen Einfluss auf ihn.«
»Das trifft auf Erika eher zu, aber die ist eine Freundin von Liren.« Treesa stand auf, ging auf dem Dach umher und berührte prüfend die Sommerblumen und Kräuter, die sie hier oben anbaute. Sie riss verdorrte Blütenköpfe von einer buschigen purpurfarbenen Petunie ab, die aus ihrem Topf herausgewachsen war und sich auf dem Dach entlangrankte. Treesa summte vor sich hin. Inzwischen hatte Astronaut gelernt zu warten.
Treesa begann zu murmeln, ohne ihre Worte völlig stimmlos zu modulieren. »Vielleicht wird sich Ali eines Tages als nützlich erweisen. Vielleicht sollte ich
Weitere Kostenlose Bücher