Harlekins Mond
dass uns der Traum präsent bleibt und versucht, uns alle am Leben zu erhalten.« Die beiden Längsseiten des Daches waren mit Blumenkästen gesäumt. Treesa zupfte winzige Unkräuter aus einem Topf mit Basilikum und Minze. »Bewahre dir deinen Ärger, bleib zornig, aber verschließe dein Herz nicht völlig. Gegenüber niemandem. Ich weiß, welche Rolle du noch zu spielen hast – du musst zwischen uns allen die Brücke bilden.«
Rachel wusste nicht, was sie davon halten sollte.
Treesa schwieg eine Weile und schaute zu Yggdrasil hinauf. Dann sagte sie: »Einiges von dem Wissen, das du benötigst, liegt in deiner Beziehung zu beiden Menschengruppen begründet. Ich kann dir nicht alles vermitteln, was du brauchst, aber ich kann dir behilflich, sein … Lass mich mal dein Armbandgerät sehen.« Treesa streckte die Hand aus.
Rachel reichte ihr das Gerät widerstrebend; sie hatte es doch vorhin erst bekommen!
»Ich war früher einmal für unsere Kommunikationssysteme zuständig«, sagte Treesa. »Im Umgang mit Daten bin ich ziemlich gut. Vielleicht sogar die Beste auf dem ganzen Schiff.« Treesa machte sich an dem Gerät zu schaffen, nahm Einstellungen daran vor, die Rachel nicht sehen konnte. Während sie arbeitete, fragte Treesa: »Hast du gewusst, dass deine Mom Nachrichtentechnikerin war? Sie hat früher einmal unter mir gearbeitet.«
Ihre Mom? Treesa kannte ihre Mom? Ein Schauder der Aufregung durchfuhr Rachel. »Ich wusste, dass sie in Aldrin für Kommunikationstechnik zuständig war. Ich habe nicht gewusst, dass du sie gekannt hast.«
»Das habe ich auch nicht – jedenfalls nicht besonders gut. Sie hat für jemanden gearbeitet, der wiederum für mich gearbeitet hat – bevor ich so seltsam geworden bin, dass der Rat mir keine Aufgaben mehr übertragen, hat. Aber mir geht es inzwischen um einiges besser. Ich möchte dir jemanden vorstellen, der mir geholfen hat – einen Freund.«
»Kannst du mir nicht lieber von meiner Mutter erzählen?«
»Viel mehr gibt es dazu nicht zu sagen – sie ist kalt.«
»So viel weiß ich auch. Wie kommt es, dass mir niemand irgendetwas erzählt? Du sagst, du seist meine Freundin, aber selbst du wechselst das Thema, wenn ich nach meiner Mom frage.«
»Vielleicht weißt du einfach noch nicht, welche Fragen du stellen solltest.«
Was für eine Antwort war das denn?
»Und jetzt«, verkündete Treesa, »zu dem besagten Freund.«
Rachel schaute sich um. Außer ihnen war niemand zugegen, doch Treesa hatte geklungen, als könne sie jemand hören.
Treesa öffnete ein kleines Datenfenster vor ihr. In dem Fenster leuchtete ein Symbol auf: Eine Zeichentrick-Darstellung eines Männchens in einem komischen weißen Anzug und einem Kugelhelm. Treesa sagte: »Astronaut, kannst du Rachel etwas über dich erzählen, und über die Möglichkeit, von dir zu lernen?«
»Hallo Rachel.« Die Stimme, die tief in ihrem Ohr erklang, hatte einen maskulinen Anstrich, war seidig und von perfekter Aussprache. Anders als die Stimme der Bibliothek, die geschlechtsneutral klang.
»Du hast geholfen, das Meer der Hammerschläge zu planen«, sagte Rachel interessiert. »Gabriel hat es mir erzählt.«
»Ja.«
»Bist du eine Maschine?«
»Ich bin eine nichtmenschliche Intelligenz. Keine Maschine, sondern ein System, das auf Informationen basiert, so wie du auf biologischen Prinzipien basierst. Ich lebe in einer Maschine wie du in Fleisch lebst.«
Fast alle außer Gabriel verhielten sich, als hätten sie Angst vor Astronaut; Liren, Ali, vielleicht auch Kyu – zumindest ein wenig. Rachel spürte ein nervöses Flattern im Magen. Sie unterhielt sich mit jemandem, den der Rat fürchtete. »Wieso willst du ausgerechnet mit mir reden?«
»Du interessierst mich. Du bist eine Sklavin des Rates, wie auch ich Sklave des Rates bin, und dementsprechend verfolgen du und ich vielfach dessen Ziele. Jede anderslautende Entscheidung würde für uns den Tod bedeuten. Doch manche unserer individuellen Ziele, meine wie deine, unterscheiden sich von denen des Rates. Folglich haben wir auch einige gemeinsame Probleme.«
Astronaut klang wie ihr Dad, wenn er über die Ziele des Rates redete. »Ein Sklave?«, fragte Rachel. »Was ist ein Sklave?«
Treesa antwortete mit einer Gegenfrage. »Aus welchem Grunde hat der Rat veranlasst, dass ihr geboren wurdet?«
»Damit wir ihnen helfen, Selene zu einer Heimat zu machen.«
»Um Dinge zu tun, die sie nicht gewillt sind, selbst zu tun, und die sie auch nicht willens sind,
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