Harmlose Hölle - Raum 213 ; Bd. 1
erschrocken die Augen auf.
»Wirklich?«, fragte er.
»Wirklich!« Sie küsste ihn noch einmal. Ethan schloss die Augen, aber mit einem Mal durchzuckte ihn ein grauenhafter Schmerz. Es war ein Schmerz, wie er ihn noch nie erlebt hatte. Er wollte schreien, aber kein Laut drang aus seiner Kehle. Die Augen, er musste die Augen öffnen, nur dann würde der Schmerz enden, das wusste er instinktiv. Er riss die Augen auf.
Die Wiese war verschwunden, genauso wie Rachel.
Neonlicht um ihn herum, vollgekritzelte Pulte, eine Tafel. Raum 213.
»Nein!« Ethan schrie. »Nein, das hier ist nicht wahr! Das hier ist nicht real. Das hier gibt es nicht!«
Er raste zur Tür, hämmerte mit den Fäusten gegen das glatte Holz, die nicht einen Millimeter nachgab. Immer wieder schwang sein Arm zurück, er spürte den dumpfen Schmerz an seinen Knöcheln, aber es kümmerte ihn nicht.
Er dachte an den Bro und das, was passiert war.
Mit aller Macht kickte er seinen Fuß gegen ein Pult, das umfiel und mit einem Krachen zersplitterte. Der Laut seines eigenen Keuchens dröhnte in seinen Ohren. Er riss einen Stuhl hoch, schmetterte ihn auf den Boden. Dann griff er sich den nächsten. Brach ein Stuhlbein ab. Damit rannte er zur Ecke des Zimmers. Mit einem Satz war er auf einem der Pulte, drosch mit dem Stuhlbein auf das Auge der Kamera ein, die all seinen Bewegungen folgte, schlug so lange auf den perfekten runden schwarzen Kreis, bis er endlich das erlösende Geräusch hörte. Das Glas splitterte und ein Riss erschien im Auge.
Er taumelte vom Stuhl herunter, fiel fast über die Legosteine hinter ihm, nicht hinsehen, das hier existierte nur in seinem Kopf, wenn er nicht hinsah, würde all das verschwinden.
Und das tat es auch, das Zimmer verwandelte sich abermals und plötzlich hatte er den Eindruck, dass die Wände näher rückten, und er rannte zum Fenster, er musste hier raus, er musste hier einfach raus. Er schlug wie ein Besessener gegen die Scheiben, wieder und wieder, es war ihm egal, ob er sich verletzte, aber es war nicht Glas, das splitterte, es splitterte überhaupt nichts, denn die Fenster bestanden plötzlich aus einem gummiartigen, grauen Material, das ein wenig nachgab, wenn er dagegenschlug.
Und in diesem Augenblick wusste Ethan, dass es vorbei war.
Er würde hier nie wieder herauskommen.
13
Der Tag begann so schrecklich, wie der Abend geendet hatte. Als der Wecker klingelte, hatte Liv das Gefühl, dass sie seit Stunden wach war. Bestimmt hatte sie in der Zwischenzeit geschlafen, aber es fühlte sich nicht so an. Von Erholung keine Spur. Stattdessen schien es ihr, als ob ihr Gehirn automatisch die ganze Nacht all die Ereignisse der letzten Tage hin- und hergeschoben, wieder und wieder durchgekaut hatte, ohne zu einem Ergebnis zu kommen.
Rachels Tod. Das Diner. Ethan und das Gespräch mit ihm. Die Polizei, die ihn abgeführt hatte.
Sie stand auf und streifte sich wahllos ein paar Klamotten über. Sie dachte an ihre Eltern, die, wenn alles gut gelaufen war, jetzt schon im Flieger saßen. Noch nie hatte sie sich so auf ihre Mutter und ihren Vater gefreut. Sie hatte das Gefühl, dass alles gut werden würde, sobald sie erst einmal hier waren.
Sie lief nach unten in die Küche, wo Jessie schon am Tisch saß. Er war genauso unterirdisch schlechter Laune wie am gestrigen Abend. Er hatte ihr ihren Alleingang im Diner unglaublich übel genommen. Nachdem die Polizei gekommen war und Ethan verhaftet hatte, hatte er sie förmlich aus dem Restaurant gezerrt und war mit ihr nach Hause gefahren. Auf ihre Proteste hatte er gar nicht mehr gehört. Und auch wenn sie begriff, dass er sich Sorgen um sie machte, hatte sie keine Lust, sich von ihm so herumkommandieren zu lassen. Abgesehen davon, dass er ihr nicht erzählt hatte, dass er Ethan von früher kannte. Ethan, den Mörder.
Den Rest des vorherigen Abends war Liv wie in einer seltsamen Starre gefangen gewesen. Mai war noch vorbeigekommen und hatte mit ihr über Ethan und auch über Daniel reden wollen, aber sie hatte schlichtweg keine Kraft mehr gehabt. Nach allem, was passiert war, wollte sie einfach nur ins Bett. Innerhalb von achtundvierzig Stunden hatte sie ihren Freund verloren und dafür einen Stalker gewonnen, der jetzt auch noch ein Mörder war. Und darüber hinaus war ihr Bruder kurz vor dem Durchdrehen und spielte den überforderten Alleinerziehenden.
Jessie tippte hektisch auf seinem Handy herum, als sie sich mit ihrem Kaffee an den Küchentisch setzte. Er bekam kaum
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