Harold - Einzlkind: Harold
Bordsteinkante erbrach, und erst als der Mann mit schwingenden Armen aus dieser Tür wankte und der Frau sein Bedauern über ihren Zustand mit den Worten »Verpiss dich, du blöde Fotze« aussprach, erst da wusste Melvin, dass sie gefunden hatten, wonach er suchte.
Eine Dame mit zwei sehr großen Brüsten kommt zu Melvin und Harold an den Tisch.
»Was kann ich euch bringen, Jungs?«
»Wir nehmen zweimal die Limonade«, sagt Melvin »und bringen Sie uns bitte die Speisekarte.«
»Gibt’s nicht.«
»Was gibt es nicht? Die Limonade oder die Speisekarte?«
»Speisekarte.«
»Aber draußen steht doch Essen & Trinken, richtig?«
»Ja.«
»Also gibt es hier auch etwas zu essen.«
»Ja.«
»Und das wäre?«
»Erdnüsse.«
»Gut, dann nehmen wir einmal die Erdnüsse noch dazu. Können Sie sich das merken, oder möchten Sie, dass ich Ihnen das aufschreibe?«
»Scherzkeks«, sagt die Dame mit den zwei sehr großen Brüsten und ist schon am Nebentisch, um die nächste Bestellung aufzunehmen, die der Lärm verschluckt. Ein Lärm, der explodieren würde, käme jemand auf die verrückte Idee, eine Nadel auf den Boden fallen zu lassen.
Melvin schaut sich um und er sieht glücklich aus, mit dem, was er sieht. Harold nicht. Der Raum ist zu klein für all die Menschen. Und an das Rauchverbot hält sich hier niemand. Die Männer sehen aus wie Männer, die Frauen auch. In ihrer Freizeit üben sie mindestens Waschmaschinenweitwurf. Einige Köpfe sind kahl geschoren und entblößen Nacken mit wurstigen Wellen, auf denen kleine Schweißperlen durch den rauchigen Nebel schimmern. Die Stühle knirschen bei jeder Bewegung der massigen Körper, feuchtrot sind ihre Wangen und von ihren Lippen läuft in kleinen Rinnsalen das Bier auf ihre Hosen. Wenn sie lachen, verstummt jedes andere Geräusch der Welt. Sie lachen nicht nur mit ihren Augen und ihren Mündern, auch mit ihren Armen und ihren Beinen, mit allem, was sie sind, und das ist insbesondere viel.
»Schön ist es hier«, sagt Melvin, seine Wangen glühen, »wunderbar«, sagt er, »ein Ort bar der Zivilisation, das ist prähistorisch, das ist sehr interessant.« Die Dame mit den zwei sehr großen Brüsten bringt die Limonade und verschwindet ohne ein weiteres Wort wieder. Sie hat die Erdnüsse vergessen. Die Gläser sind zur Hälfte mit etwas gefüllt, das nach Chlor riecht und an den Rändern schlieren unzählige Fingerabdrücke, die wie Krankheiten aussehen. Eine unmittelbare Kontaktaufnahme mit diesem Objekt, findet keinen Platz in Harolds Vorstellungsvermögen. Melvin aber trinkt ohne hinzuschauen in kurzen Zügen die Hälfte der Flüssigkeit, ihm fehlt für solche Nichtigkeiten der Blick, er wirkt nervös, beinahe so, als warte er noch auf etwas, als wäre es noch nicht genug, als sei der Vorhang für die Sensation noch geschlossen.
Die Tür geht erneut auf. Zwei Männer stehen im Rahmen und werden von der Dame mit den zwei sehr großen Brüsten im Vorbeigehen mit »Hi Frank, hi Henry« begrüßt. Frank und Henry schauen sich kurz im Raum um, nehmen links und rechts jeweils einen frei gewordenen Stuhl und setzen sich ohne zu fragen an Harolds und Melvins Tisch, der eigentlich zu klein dafür ist.
Wenn Harold aus seinen ganzen Vorurteilen mit Wasserfarbe die Bilder eines Psychopathen und eines Massenmörders malen würde, dann hätten diese Bilder gerade eben Platz genommen. Melvin wühlt in seiner Umhängetasche und holt einen Stapel Papier und einen Kugelschreiber hervor. Harold möchte nicht wissen, warum er das tut.
»Darf ich mich vorstellen, ich heiße Melvin und der nette ältere Herr hier neben mir ist Harold, meine temporäre Aufsichtsperson.« Frank und Henry schauen Melvin an. Dann Harold. Harold schaut auf den Fernseher, der an der gegenüberliegenden Wand bewegte Bilder überträgt. Der Premierminister formt mit seinen Lippen Wörter, die nicht zu verstehen sind, es scheint auch niemanden sonst zu interessieren. Harold findet es sehr interessant. Die Dame mit den zwei sehr großen Brüsten kommt wieder an den Tisch und nimmt die Bestellung von Frank und Henry entgegen. Sie beachten Melvin nicht mehr. Sie bestellen zwei Guinness.
Es ist schwer auszumachen, wer von beiden das grobschlächtigere Aussehen hat, und doch scheint Frank einen Hauch im Vorteil zu sein. Vielleicht liegt es an der Schnittwunde, die vom rechten oberen Haaransatz bis zur linken Kinnhälfte reicht, oder an das in Runenschrift eintätowierte Hate auf den Fingerknöcheln. Gleichwohl
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