Harold - Einzlkind: Harold
zu tun haben?«
»Wäre das eine Tragödie für Ihren Vater-und-Sohn-Tag?«
»Ich denke, wir sind uns einig, dass Sie uns nun leider wieder verlassen müssen.«
»Unglaublich, wie die Zeit vergeht. Sie haben sehr schön gesungen.«
18
Melvin ist nicht in Stimmung. Er ist ganz und gar nicht in der Stimmung für diese offensichtliche Unverfrorenheit. Er hat in seinem Leben schon so manches gesehen, aber dieser Ort spottet jeder Beschreibung.
»Ihr Etablissement sah im Internet ansprechender aus.«
»Tja, das Internet.«
Melvin kneift die Augenbrauen zueinander und starrt den Concierge so feindselig wie möglich an. Durchaus wirkungsvoll, wie Harold findet, da sich der Ausdruck in dem über die Jahrzehnte zerfurchten Gesicht des Concierges verändert. Von Gleichgültigkeit zu absolutem Desinteresse. Er senkt den Kopf wieder über das Buch, das vor ihm aufgeschlagen wichtigste Informationen beinhalten muss, und blättert mit den altersfleckigen Händen sorgsam hin und her.
Melvin kann nicht glauben, dass dies Molly Blooms Pension für den anspruchsvollen Geschmack mit heimischer Atmosphäre sein soll. Die Empfangshalle ist kaum von einer großzügig geschnittenen Besenkammer zu unterscheiden, das Mobiliar kann als Churchills Kriegsbeute durchgehen, die sonst keiner wollte, und der stumpfe, fleckige Parkettboden dürfte seit Jahrzehnten keine Reinigung mehr ertragen haben.
»Was würden Sie von einem Preisnachlass von sagen wir zwanzig Pfund halten?«, fragt Melvin in einem Tonfall, der sich nicht mit Freundlichkeit messen lässt. Der Concierge braucht einige Sekunden, um seine Konzentration wieder auf die Gäste zu lenken und verweilt für einen endlosen Moment in absoluter Leblosigkeit.
»Nichts.«
Harold kann auf Anhieb keinen großen Spielraum für Verhandlungen erkennen und freut sich auf ein Zimmer, auf ein Bett, auf Ruhe. Melvin sieht das etwas anders.
»Guter Mann«, versucht Melvin die Verhandlungen neu anzustoßen, wird aber sogleich von einem Fingerzeig des Concierges unterbrochen, der auf etwas in der Höhe seines Herzens deutet. Mr. Perkins steht auf einem schwarzen Schild, das lose angenäht auf einer ins Rosé verwaschenen Jacke weilt, die in besseren Tagen aus einem einfachen Mann einen wahrhaftigen Concierge machte, als zwei fehlende Knöpfe den Blick auf das Wesentliche noch nicht versperrten. Auf die wichtigste Person eines Hotels, auf die Instanz des Einlasses und der Verwehrung, auf die hoheitliche Gewalt der Information und Kommunikation, auf die Weisheit und vielleicht sogar auf die Allwissenheit.
»Lieber Mr. Perkins«, greift Melvin den Faden erneut auf, »anhand der 22 von 24 Schlüsseln, die ich an Ihrer Wand hängen sehe, gehe ich davon aus, dass Sie momentan nicht mit einer Überbelegung zu kämpfen haben. Ich gehe sogar ganz im Gegenteil davon aus, dass Sie in der jetzigen Lage für jeden Gast dankbar sind.«
»Oh ja, das sind wir«, sagt Mr. Perkins.
»Schön. Und sicher hätten Sie lieber 80 Pfund mehr in der Kasse.«
»In der Tat.«
»Auch der Inhaber des Hotels würde sich freuen.«
»Ganz gewiss.«
»Betriebswirtschaftlich gesehen ergeben sich also keine Bedenken?«
»Absolut keine.«
»Wäre es nicht sogar volkswirtschaftlich sinnvoll?«
»In jedem Fall.«
»Nicht zu vergessen, dass Ihr Arbeitsplatz natürlich auch von den Buchungen abhängig ist.«
»Natürlich.«
»Sie mögen Ihren Job?«
»Ich kann mir keinen schöneren vorstellen.«
»Es wäre auch sicher nicht einfach, in Ihrem Alter eine neue Anstellung zu finden.«
»Sicher nicht.«
»Das Leben sähe dann anders aus.«
»Das täte es.«
»Sie sind verheiratet?«
»Ja.«
»Immer zuhause.«
»Furchtbar.«
»Wäre also nicht allen geholfen? Uns, Ihnen, Ihrem Chef, Ihrer Frau, dem Hotel, der Gewerkschaft, der Regierung, dem Königreich?«
»Das ließe sich behaupten.«
»Ein Glück also, welches allen Beteiligten zuteil würde, ein Sieg der praktischen Vernunft, ein Tag, als Gedenken an eine bessere Welt.«
»Gewaltig.«
»Sehen Sie, und deshalb frage ich Sie jetzt noch einmal: Was würden Sie von einem Preisnachlass von sagen wir 20 Pfund halten?«
»Nichts.«
Melvin starrt den Concierge an, als sei er etwas in einem Strampler. Bei Sokrates war es doch ganz einfach. Mit dem Sklaven, der Mathematik und der Mäeutik im Allgemeinen. Sind die Menschen seither noch dümmer geworden? Was in der Argumentationskette hat der Thekenwart nicht verstanden? Ist Logik nur noch eine aufblasbare Hüpfburg?
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