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Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11

Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11

Titel: Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlaine Harris
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selbst nach Luft schnappen hören - ein tiefer, kehliger,
erschreckter Laut. Ich konnte den erhobenen Arm sehen, den Arm, der einen
Kerzenständer in der Hand hielt. Ich kauerte mich auf den Boden und versuchte,
dem Schlag auszuweichen. Der Arm war der eines Mannes, der lange Ärmel trug.
Ein überwältigendes Gefühl von Betrug und Schock. Ein kurzer Blick auf den
herabsausenden Arm. Schmerz und Enttäuschung, Bitterkeit, die Hoffnung auf
Wiederauferstehung, ein furchtbarer Mischmasch sich aufbäumender Gefühle. Und
dann gar nichts mehr.
    »Ich weiß«,
flüsterte ich. »Du kannst jetzt gehen.«
    Endlich
verließ die Seele von Helen Hopkins ihren Körper.
    Das war mir
erst einmal passiert. Damals hatte ich nicht gewusst, was ich machen sollte,
ich war nur zufällig über die Leiche gestolpert. Solche Vorfälle haben dazu
geführt, dass die Menschen an Geister glauben. Die Seele möchte, dass ihr Kampf
wahrgenommen wird. Der Schmerz, der mit dem Tod des Körpers einhergeht, und das
Gefühlschaos, das entsteht, wenn man ermordet wird, erschweren es der Seele,
sich vom Körper zu lösen. Wird dieses Problem vor der Bestattung nicht
beseitigt, spukt die Seele herum.
    Ich hatte
Helen Hopkins zur letzten Ruhe gebettet, bevor sie überhaupt begraben wurde.
Ich hatte eine gute Tat vollbracht.
    Aber ich
hatte ihre letzten Momente durchleben müssen und litt noch jetzt unter den
Nachwirkungen. Ich fühlte mich unheimlich zittrig, spürte, wie mich Tolliver am
Arm nahm und zu einem Stuhl führte. Endlich erkannte ich, wer vor mir stand. Ich
sah, wie mich Elijah Gleason mit offenem Mund und zusammengekniffenen Augen
anstarrte. Diesen Gesichtsausdruck kannte ich. Es war der eines
Großinquisitors, der nach der Hexenverbrennung schreit.
    »Helen ist
zu unserem Herrn zurückgekehrt«, sagte ich sofort und rang mir ein Lächeln ab.
Das kommt immer gut an.
    Gleason sah
schon deutlich weniger entsetzt drein. »Und das wissen Sie?«, fragte er
schließlich.
    »Ja«, sagte
ich mit fester Stimme. »Sie ist im Himmel bei den Heiligen. Ehre sei Gott in
der Höhe.«
    Dieser Vers
beeindruckt sie immer, und dann bin ich sie los. Ich hasse es, diese Karte
auszuspielen. Das heißt nicht, dass ich ungläubig bin. Genauso wenig betrachte
ich mich als Agnostikerin. Aber ich muss mit den Leuten so über Gott reden,
dass sie es verstehen, und mein Gott scheint mit dem ihren kaum etwas zu tun zu
haben. Selbst wenn sie nicht wirklich an ihn glauben, fühlen sie sich stets
getröstet, wenn sie diesen christlichen Vers hören. Wenn er dann noch von mir
kommt, fühlen sie sich in ihrem halbverborgenen Unglauben erschüttert.
    Und mir und
Tolliver gibt er Sicherheit.
    Gleason
schlug das Laken über Helens Gesicht, und ich blickte auf ihre in gebleichte
Baumwolle gehüllten Überreste. Jetzt waren sie leer und nur noch eine
Ansammlung von Zellen, die ihre Aufgabe erfüllt hatten und ihrer eigenen
Auflösung entgegenstrebten.
    Als wir
wieder draußen standen, bat ich Tolliver, eine Freundin von Helen ausfindig zu
machen. Nach einem Anruf bei Hollis, der sagte, Annie Gibson sei Helens beste
Freundin gewesen, schlugen wir ihren Namen im Telefonbuch von Sarne nach. Fünf
Minuten später saßen wir in einem Wohnzimmer, das dem von Helen Hopkins beinahe
bis aufs Haar glich. Die Fotos der älter werdenden Kinder, die große
Familienbibel auf dem Couchtisch, der saubere, mit Möbeln vollgestellte Raum
und der Geruch nach Essen... all das kam mir sehr bekannt vor. Das Einzige, was
hier anders war, war eine Reihe neuer Bilder: Annie Gibson hatte Enkel. In
einer Ecke stand eine Kiste mit Spielzeug, das nur darauf wartete, von kleinen
Händen im Zimmer verstreut zu werden.
    Auch wenn
sich die Einrichtungen ähnelten, besaß Annie Gibson keinerlei Ähnlichkeit mit
Helen Hopkins. Annie war dick und hatte kurzes, lockiges Haar. Sie trug ein
blaues Kunststoffbrillengestell und atmete schwer. Dumm war Annie Gibson auf
keinen Fall. Sie ließ uns erst in ihr ärmliches Haus, nachdem wir uns mit
unseren Führerscheinen ausgewiesen hatten. Und wenn sie uns Kaffee anbot, darin
nur aus Höflichkeit und nicht, weil es von Herzen kam.
    »Helen hat
mir von Ihrem Besuch erzählt«, sagte Annie Gibson. »Ich weiß nicht, ob Sie gute
Menschen sind oder nicht. Aber sie hat nur gut über Sie geredet, und das muss
mir genügen. Ich werde Helen sehr vermissen. Wir haben jeden zweiten Tag
zusammen Kaffee getrunken und sind zweimal im Jahr nach Little Rock zum
Einkaufen gefahren. Zum

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