Harper Connelly 04 - Grabeshauch
»Gut,
es gibt viele Leute, denen nicht gefällt, was wir tun. Aber wir sind ehrlich und machen uns keine Feinde. Zumindest nicht,
dass ich wüsste. Aber anscheinend haben wir uns mindestens einen gemacht.« Es war mir ein Rätsel, ob die Polizei irgendetwas
von dem, was ich da erzählte, verstand. Aber wahrscheinlich hatte ich irgendwann erklärt, was Tolliver und ich taten. Auch
wenn ich mich nicht daran erinnern konnte.
Detective Powers absolvierte das übliche Frage-und-Antwort-Spiel. Er wollte wissen, womit wir unser Geld verdienten, seit
wann wir das taten, wie viel wir verdienten und was unser letzter Auftrag gewesen war. Ich musste tatsächlich kurz überlegen,
aber dann fiel mir der Besuch bei den Joyces wieder ein, und ich erzählte ihm davon. Es schien ihm gar nicht zu behagen, dass
wir mit einer so wohlhabenden, mächtigen Familie zu tun gehabt hatten.
Ein Arzt kam herein, ein älterer Mann mit einem spärlichen Haarkranz und einem müden Gesicht. Ich sprang sofort auf.
»Gehören Sie zur Familie Lang?« Er sah von mir zu Matthew. Mir hatte es die Sprache verschlagen, und Matthew nickte.
»Ich bin Dr. Spradling und Orthopädiechirurg. Ich habe Mr Lang soeben operiert. Im Großen und Ganzen habe ich gute Neuigkeiten. Mr Lang
wurde von einer kleinkalibrigen Kugel getroffen, wahrscheinlich aus einem .22er-Gewehr oder einer Pistole. Sie ist in seine
Clavicula, sein Schlüsselbein, eingedrungen.«
Ich rang nach Luft, ich konnte nichts dagegen tun. Ich benahm mich wie eine Idiotin.
»Also habe ich die Clavicula verschraubt. Nerven oder Blutgefäße wurden keine verletzt, er hat also Glück gehabt – wenn man
das über einen Angeschossenen überhaupt sagen kann. Er hat die Operation gut überstanden«, sagte der Arzt. »Ich glaube, er
wird sich gut erholen. Jetzt muss er erst mal zwei oder drei Tage im Krankenhaus bleiben. Wenn alles gut geht und keine Komplikationen
auftreten, können wir ihn entlassen. Aber er wird anschließend noch eine Woche lang intravenös Antibiotika erhalten müssen.
Wir können eine Schwester vorbeischicken, die das übernimmt, aber Sie müssen in der Nähe bleiben, auch wenn Sie eigentlich
gar nicht hier leben.« Er fixierte mehr oder weniger den Raum zwischen uns und wartete auf eine Reaktion.
Ich nickte hektisch, zum Zeichen, dass ich alles verstanden hatte. »Ganz wie Sie meinen«, sagte ich zu Dr. Spradling.
»Wo wohnen Sie, Miss Connelly? Soweit ich weiß, leben Sie zusammen?«
Ich warf einen kurzen Blick auf Matthew und befürchtete schon, er könnte sich um Tollivers Pflege reißen. Eine Riesenangst
verdrängte alle anderen Ängste: Würden sie mich überhaupt zu ihm lassen, wenn Matthew etwas dagegen hatte? Ich musste Matthews
Vaterschaft überbieten. Ich machte den Mund auf und staunte selbst nicht schlecht, als ich dem Arzt völlig unvermittelt erklärte:
»Wir sind ein Paar. Wir führen eine Lebensgemeinschaft.« Texas erkannte auch Ehen ohneTrauschein an. Die Lebensgefährtin könnte die Stiefschwester ausstechen. »Wir haben eine Wohnung in St. Louis. Wir sind seit
sechs Jahren zusammen.«
Dem Arzt war das vollkommen egal. Er wollte mir nur mitteilen, was Tollivers Pflege beinhaltete. Er drehte sich leicht zu
mir: »Sie sollten eine Unterkunft finden, die näher am Krankenhaus liegt. Zumindest so lange, bis er nach seiner Entlassung
etwas zu Kräften gekommen ist. Er ist noch nicht übern Berg, aber es wird schon alles gut gehen.«
»Gut.« Ich ließ mir das, was er gesagt hatte, noch einmal durch den Kopf gehen und hoffte, nichts vergessen zu haben: ein
zerschmettertes Schlüsselbein, eine kleinkalibrige Kugel, keine weiteren Verletzungen. Drei Tage im Krankenhaus. Antibiotika,
die eine Schwester intravenös im Hotel verabreichen würde. In einem näher gelegenen Hotel.
»Sie können bei mir und ihrem Bruder wohnen, wenn es sein muss«, sagte Matthew, und der Arzt, der sich eindeutig nicht für
solche Details interessierte, nickte. Das würden wir ganz bestimmt nicht tun, aber das war jetzt nicht der geeignete Augenblick,
um das zu besprechen.
»Hauptsache, es ist jemand da, der sich um ihn kümmert. Er muss ruhig und bequem liegen, sollte mehrmals am Tag aufstehen
und etwas spazieren gehen, seine Medikamente regelmäßig einnehmen, keinen Alkohol trinken und sich gesund ernähren«, sagte
der Arzt. »Aber wie gesagt nur, wenn er sich gut macht. Morgen sehen wir weiter.« Dr. Spradling wollte
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