Harper Connelly 04 - Grabeshauch
mein Freund, und
er hatte dasselbe Recht, hier zu sein, wie alle anderen auch. Eine große Frau mit breiten Schultern und dicken braunen Haaren
kam auf mich zu. Sie hatte hier eindeutig das Sagen, und nicht nur hier.
»Hallo«, sagte sie. »Ich bin Beverly Powers, Parkers Frau. Kann ich Ihnen helfen?«
»Ich hoffe doch«, sagte ich zögernd. Irgendwie hatte ich nicht damit gerechnet, von so vielen Menschen angestarrt zuwerden. »Ich bin Harper Connelly, und Parker wurde angeschossen, als man versuchte, mich umzubringen. Ich möchte mich bei
ihm bedanken. Und das ist mein Freund Manfred Bernardo, mein Fahrer, solange mein Bruder noch im Krankenhaus liegt.«
»Ach, Sie sind die junge Frau!«, sagte Beverly Powers und sah mich gleich viel neugieriger an. »Ich freue mich, Sie kennenzulernen.
Es kursieren nämlich zahlreiche Gerüchte darüber, warum Sie und mein Mann draußen unterwegs waren. Ich hoffe, Sie können mir
erklären, was genau passiert ist.«
»Aber gern«, sagte ich überrascht. »Da gibt es nicht viel zu erklären.«
Sie wartete mit hochgezogenen Brauen, zum Zeichen, dass sie ganz Ohr war. Ich war etwas überrumpelt, dass ich die Ereignisse
jetzt sofort schildern sollte.
Alle hörten zu, obwohl sie das Gegenteil vorgaben. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass sich Manfred zurückgezogen und an eine
Wand gelehnt hatte. Er verschränkte die Arme und ließ mich nicht aus den Augen. Er sah aus wie ein Geheimagent, und das bestimmt
mit Absicht. Der Mann war das reinste Chamäleon.
»Mein Bruder wurde vor zwei Abenden angeschossen«, erklärte ich und wählte meine Worte mit Bedacht. »Damals kam Detective
Powers, um den Tatort zu untersuchen. Zusammen mit Rudy Flemmons. Der besuchte meinen Bruder am nächsten Tag im Krankenhaus,
um uns zu informieren. Und als ich dann gestern Abend in mein Hotel zurückkehrte, wartete dort Ihr Mann auf mich. Als ich
ihm sagte, dass ich eine Runde laufen wolle, da ich den ganzen Tag mit meinem Bruder im Krankenhaus eingesperrt gewesen war,
willigte er ein, mich zu begleiten. Er zweifelte nämlich daran, dass es der Schütze auf meinen Bruder abgesehen hatte.« Powers’
begeisterte Blicke verschwieg ich lieber. »Er war derAnsicht, dass derjenige, der auf Tolliver schoss, eigentlich mich treffen wollte. Außerdem hatte ich an diesem Tag eine Morddrohung
bekommen. Leider nahm die keiner von uns sonderlich ernst, was ein großer Fehler war – und das tut mir auch aufrichtig leid.
Zu meiner Entschuldigung kann ich nur sagen, dass ich schon öfter Morddrohungen erhalten habe, ohne dass je etwas passiert
ist. Ihr Mann meinte, seine Laufsachen wären im Auto. Er hat sich in seinem Wagen umgezogen, und dann sind wir losgelaufen.
Bitte verzeihen Sie, wenn ich das sage, aber er kam ziemlich schnell aus der Puste. Wahrscheinlich war er schon lange nicht
mehr laufen.« Zu meiner Überraschung hatten sich meine Zuhörer deutlich entspannt, während ich Beverly Powers erklärte, warum
auf ihren Mann geschossen worden war. Als ich beschrieb, wie sehr er aus der Puste gekommen war, lachten einige sogar, und
ein Lächeln erschien auch auf Beverly Powers’ Gesicht.
Plötzlich begriff ich: Mrs Powers und Parkers Kollegen hatten gedacht, ich hätte eine Affäre mit ihm. Meine freimütigen Erklärungen
hatten diesen Verdacht zerstreut. Sie fanden die Sache nicht wirklich komisch, sondern waren bloß erleichtert.
»Wir rannten die Reihen dieses großen Busdepots gegenüber der Highschool an der Jacaranda Street auf und ab.« Aus den Augenwinkeln
sah ich, wie genickt wurde. »Wir hörten, wie ein Wagen auf den Busparkplatz fuhr, und Detective Powers und ich fühlten uns
verfolgt. Aber dann ist er davongebraust. Wir beschlossen, lieber wieder zum Hotel zurückzukehren. Auf dem Rückweg sprang
plötzlich dieser Typ aus einem Gebüsch und schoss auf uns. Ich weiß nicht, ob er auf mich oder auf Ihren Mann zielte, aber
Detective Powers stieß mich sofort zur Seite. Deshalb fing er sich die Kugel ein, was mir wirklich sehr leid tut. Er war so
tapfer, undich fühlte mich furchtbar, weil er so schwer verletzt wurde. Ich setzte so schnell wie möglich einen Notruf ab.«
»Der hat ihm das Leben gerettet«, sagte Beverly. Ihr Gesicht war rund und sympathisch, aber ihre Augen sprachen eine andere
Sprache. Egal in welcher Disziplin – diese Frau war eine beinharte Konkurrentin.
Ich war heilfroh, keine Affäre mit ihrem Mann gehabt zu
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