Harpyien-Träume
ausgesprochen stattlich. Es war von Drachengestalt und -masse, mit einander überlappenden metallischen Schuppen von dunkelgrüngrauer Färbung, stämm i gen, krallenbewehrten Füßen und anderthalb Myriaden Zähnen. Es bewegte sich auf sie zu, sog die Luft ein und knurrte dabei i n nerlich.
»Warte!« rief Trent und stellte sich ihm in den Weg. »Wir haben einen Passierschein für diesen Pfad!«
Zu spät. Der Drachen atmete aus. Eine Schwade aus schneeigem Dampf wehte Trent zurück. Eis kristallisierte auf seinem Körper. Er stürzte rücklings in die Mädchen, von oben bis unten gefroren.
»Das ist ja ein Schneedrache!« rief Gloha entsetzt, während sie zu zweit den Magier auffingen, bevor er zu Boden stürzte und ze r sprang. »Ich dachte, die wären alle weiß und würden im Winterg e birge leben.«
»Mach dir deswegen mal keine Sorgen«, sagte Cynthia. »Bringen wir erst einmal Trent in Sicherheit und tauen wir ihn auf.«
Sie hatte recht. Sie zerrten den Eismann den Weg zurück, den sie gekommen waren, fort von dem Drachen. Cynthia leistete dabei die meiste Arbeit, da sie ja auch um einiges größer war als Gloha.
Als sie wieder um die Ecke gebogen und einen Abschnitt des Tunnels erreicht hatten, der zu klein für den riesigen Drachen war, legten sie Trent vorsichtig auf den Boden. »Ist er…?« fragte Gloha entsetzt.
»Nicht, wenn wir schnell handeln«, antwortete Cynthia. »Das Eis befindet sich nur auf der Oberfläche. Wenn wir es sofort abkra t zen, dürfte er innerlich nicht erfrieren.«
Also hackten sie auf seinen Körper ein, und die Eisbrocken fi e len klirrend zu Boden. »Aber sein Gesicht müssen wir unbedingt freibekommen, damit er atmen kann«, sagte Gloha. »Da können wir das Eis aber nicht einfach abhauen, sonst schlagen wir ihm noch die Nase und die Lippen ab.«
»Du hast recht. Da müssen wir mit Wärme arbeiten. Ich glaube, jetzt habe ich endlich einen Vorwand, etwas zu tun, das ich schon vor einem Jahr… ich meine, vor einundsiebzig oder zweiundsie b zig Jahren tun wollte.«
Gloha stutzte. »Du meinst…?«
»Ja«, sagte Cynthia voller Entschlossenheit. »Ich werde ihn kü s sen!«
Cynthia schritt zur Tat. Sie beugte sich vor, legte dem Magier die Hände auf die Schultern und richtete ihn mit einer Kraft auf, wie sie nur ein Zentaur aufbieten konnte. Stocksteif ging Trent in die Höhe, die Füße noch immer am Boden. Dann beugte Cynthia den Kopf vor, legte ihr Gesicht an das seine und drückte ihm die Li p pen ganz fest auf den Mund.
Kurz darauf hob sie den Kopf. »Mei Hippen sind vreist«, keuc h te sie.
Es dauerte einen Viertelmoment, bis Gloha sie verstand. »Du meinst, deine Lippen sind vereist«, wiederholte sie. »Dann sollte ich wohl besser übernehmen, während du dich erholst.«
»Hwh.« Die Eiskruste schälte sich zwar bereits wieder von Cy n thias Gesicht, aber ihre Lippen blieben immer noch veilchenblau.
Gloha stellte sich auf die Zehenspitzen, um das schrägliegende Gesicht des Magiers zu erreichen, und pflanzte ihre warmen Li p pen auf seine leicht angetauten. Sie küßte ihn so fest sie konnte. Die Kälte schlug zwar durch, doch als sie merkte, wie ihre eigenen Lippen erstarrten, spürte sie zugleich, daß seine weicher wurden. Es funktionierte! Als sie das Gefühl hatte, daß sie in diesem B e reich keine Wärme mehr zu spenden vermochte, zog sie sich z u rück und beobachtete zufrieden, wie Trents Mund eine dünne Dampfschwade entwich. Er fing wieder zu atmen an!
Inzwischen hatte Cynthia angestrengt durchgeatmet und die Li p pen immer wieder aufeinandergepreßt, um sie aufzuwärmen. Ihre Hände konnte sie nicht gebrauchen, weil sie Trent damit beim Küssen stützte. »Ich glaube, ich schaffe jetzt wieder eine Runde«, sagte sie tapfer. Dann preßte sie erneut ihren Mund auf den seinen.
Gloha hatte die Hände frei und benutzte sie, um ihre Lippen durchzumassieren und das Eis von ihnen abzukratzen. Dann vol l endete sie ihr Werk mit Hilfe der warmen Atemluft. Als Glohas Mund wieder intakt war, war Cynthias erneut vereist.
Dafür war Trents Mund jetzt eisfrei, und sein Atem erzeugte hübsche Wölkchen. Deshalb nahm Gloha sich jetzt sein rechtes Auge vor, das ebenfalls zugefroren war. Sie küßte es, und als die Wärme das Eis löste, leckte sie es ab. Als das Auge sich schließlich öffnete, wußte sie, daß es abgetaut war. Doch ihr Mund war wi e der verklebt, und ihre Zunge verweigerte das Sprechen.
»Gute Idee«, meinte Cynthia. »Sein Mund ist frei, ein
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