Harpyien-Träume
aufhalten, indem wir ihre Quelle verstopfen. Aber keiner von kommt nahe genug heran.«
»Könnte ein Vogel Rokh vielleicht einen Felsbrocken auf die Quelle fallen lassen?«
»Nein. Das Gift kommt aus einer Ritze im Steilhang. Die Quelle selbst müßte sich ziemlich leicht stopfen lassen. Aber bisher ist jeder unserer Versuche in einer Katastrophe geendet, weil keiner nahe genug herankam.«
Da hatte Gloha einen Einfall. »Mark, du warst doch gegen den Rauch des Drachen immun. Wärst du nicht auch in der Lage, dich einem Giftloch zu nähern?«
»Ich wüßte keinen Grund, weshalb nicht«, stimmte das Skelett ihr zu.
»Dann seid ihr doch diejenigen, auf die wir gewartet haben!« rief Pa Troll. »Ihr seid das Zeichen der Harpyienzeit!«
»Vielleicht«, meinte Trent. »Allerdings sollten wir erst einmal klarstellen, daß Mark Knochen sich ebenfalls auf einer Suche befindet. Er braucht eine halbe Seele, damit er sich unbegrenzt im eigentlichen Xanth aufhalten kann. Wenn sich irgend jemand hier bereit erklären würde…«
Es war verblüffend, wie schnell die Menge sich verteilte. Es schien, als wäre keiner der Dorfbewohner bereit, so weit zu gehen. Selbst Pa Troll hatte sich plötzlich irgendwie verziehen können. So standen sie auf einmal nur noch zu dritt auf dem Platz eines scheinbar verlassenen Dorfes.
»Diese Kreaturen haben viel zu viel Menschliches an sich«, bemerkte Trent säuerlich.
»Und doch ist ihr Anliegen echt«, meinte Mark. »Xanth wird davon profitieren. Ich werde dieses Loch stopfen.« Er ging in die Richtung davon, in die Pa Troll geblickt hatte, als er ihnen von dem nahenden Gift erzählte.
Trent blickte dem Skelett kopfschüttelnd hinterher. »Ich könnte fast schwören, daß er mindestens schon eine halbe Seele hat.«
»Jedenfalls macht er nicht den Eindruck, als würde er noch mehr davon brauchen«, stimmte Gloha ihm zu. »Ich habe erst kürzlich eine Lektion in Sachen Anstand erhalten. Das hier erinnert mich daran.«
»Vielleicht sind die Seelen auch nicht mehr das, was sie mal waren.«
»Ich sollte besser mal nachsehen, ob ich Mark helfen kann.« Gloha breitete die Flügel aus.
»Begib dich nicht zu dicht heran«, ermahnte Trent sie. »Wenn du irgendwas riechst, zieh dich sofort zurück.«
»Mach ich«, versicherte sie ihm. Dann schlug sie die Schwingen und erhob sich in die Luft.
Es war gut, wieder einmal in ihrer eigenen Gestalt fliegen zu können. Von der vielen Lauferei fühlten sich ihre Beine schon ganz abgenutzt an. So war ihr Entschluß, Mark zu helfen, möglicherweise ebenso selbstsüchtigen wie selbstlosen Motiven entsprungen.
Schon kurz darauf bekam sie den Giftstrom zu Gesicht. Er sah aus wie ein klebriger schwarzer Fluß, der vom nahen Berg direkt auf das Dorf zuströmte. Ab und an wurde er schneller, und Gloha begriff, daß dies die Stellen sein mußten, wo die Dorfbewohner erfolglos Dämme errichtet hatten. In unmittelbarer Nähe des Giftstroms wuchs keinerlei pflanzliches Leben, wie überhaupt das ganze Land in Riechreichweite verödet war. Wie von einem bösartigen Willen getrieben, hielt der Strom zielstrebig auf das Dorf zu. Für gewöhnlich hätte Gloha einen solchen Gedanken verworfen, hätte sie sich nicht daran erinnert, wie unbelebte Dinge oft reagierten, wenn König Dor mit ihnen sprach. Sie schienen zwar ziemlich oberflächlich zu sein, hatten aber durchaus eine eigene Meinung und Gefühle. Und Mark Knochen war natürlich auch nicht lebendig, wenngleich durch Magie belebt, und es war nicht zu bestreiten, daß er ein Ziel verfolgte und einen eigenen Verhaltenskodex hatte. Dann war da noch Pin-A-Tuba, der wütende Vulkan, der die Leute daran zu hindern versuchte, sich ihm zu nähern. Weshalb sollte da ein Giftstrom nicht auch seine Ziele verfolgen?
Da wurde ihr plötzlich klar, daß das Gift ja vom Pin-A-Tuba stammte! Das dort drüben war nur der rückwärtige Hang des Vulkans. Also mußte es auch dort Schründe und Ritzen geben, aus denen giftige Gase oder Flüssigkeiten hervortraten. Offenbar waren sie mit diesem bösen Berg immer noch nicht fertig.
Mark stieg mittlerweile den verwüsteten Hang zu der Felsritze hinauf. Gloha konnte allerdings schon jetzt erkennen, daß er die Ritze nicht erreichen würde, weil ihm eine kleine Steilklippe im Weg war. Der schwarze Giftschleim hatte zwar keine Schwierigkeiten, die Klippe herabzutropfen, doch ein Aufstieg war an dieser Stelle unmöglich. Allerdings gab es einen indirekten Zugang, der jedoch nur von oben zu
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