Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton
vermied.
»Hans Rollenberger. Was für ein Name, hm? Wahrscheinlich nennen ihn seine Untergebenen Hans Guck-in-die-Luft. Stimmt’s?«
»Manchmal.«
»Nun, was kann man anderes erwarten. Er … hm, wissen Sie, Harry, ich bin schon achtunddreißig Jahre dabei.«
Bosch nickte bloß. Die Situation wurde immer eigenartiger. Irving hatte ihn noch nie beim Vornamen genannt.
»Und, hm, ich bin in Hollywood Streife gegangen, als ich gerade von der Polizeischule kam. Die Frage, die mir Money Chandler gestellt hat, über Ihre Mutter, ich hätte sie nicht erwartet. Es tut mir leid, Harry – leid wegen Ihres Verlusts.«
»Es ist lange her.« Bosch wartete einen Moment. Irving schaute auf seine gefalteten Hände auf dem Tisch. »Wenn das alles ist, dann werde ich …«
»Ja, das ist wohl alles … Aber wissen Sie, ich wollte Ihnen sagen, daß ich an dem Tag dort war.«
»An welchem Tag?«
»An dem Tag, als Ihre Mutter … Ich war der MP.«
»Der meldende Polizist?«
»Ja, ich war es, der sie gefunden hat. Ich ging Streife auf dem Boulevard und schaute in dieses Gäßchen, das von der Gower Street abgeht. Einmal am Tag bin ich dort vorbeigegangen und ich, hm, habe sie gefunden … Als Chandler mir die Berichte zeigte, erinnerte ich mich sofort an den Fall. Sie kannte meine Dienstnummer nicht – sie stand auf dem Formular –, sie hätte sonst gewußt, daß ich es war und es breitgetreten, schätze ich …«
Bosch fühlte sich kaum in der Lage, sich das alles anzuhören. Er war jetzt froh, daß Irving ihn nicht ansah. Er wußte oder glaubte zu wissen, was Irving ihm nicht erzählte.
Wenn er auf dem Boulevard Streife gegangen war, hatte er seine Mutter gekannt, bevor sie gestorben war.
Irving sah zu ihm auf und dann wieder weg zur Ecke. Sein Blick fiel auf den Feigenbaum.
»Jemand hat eine Kippe in den Topf geworfen«, sagte er. »Ist das Ihre, Harry?«
20
Bosch steckte sich eine Zigarette an und drückte mit der Schulter eine der gläsernen Eingangstüren des Parker Centers auf. Irving hatte ihn mit seiner Die-Welt-ist-ein-Dorf-Geschichte geschockt. Bosch hatte immer damit gerechnet, irgendwann einmal jemanden zu treffen, der sie oder ihren Fall gekannt hatte. Es wäre ihm nie eingefallen, daß es Irving sein würde.
Während er auf dem südlichen Parkplatz zu seinem Caprice ging, sah er Edgar an der Kreuzung von First und Los Angeles Street auf Grün warten. Bosch schaute auf die Uhr und sah, daß es 17.10 Uhr war, Feierabend. Wahrscheinlich war Edgar auf dem Weg zum Code Seven oder zum Red Wind, um ein Bier zu trinken, bevor er sich durch den Verkehr auf dem Freeway kämpfte. Keine schlechte Idee. Sheehan und Opelt saßen sicher auch schon in einer der Bars.
Als er die Ecke erreichte, hatte Edgar schon anderthalb Block Vorsprung und ging auf der First Street in Richtung des Sevens. Bosch beschleunigte seine Schritte. Zum ersten Mal seit langem hatte er ein richtiges Verlangen nach Alkohol. Für eine Stunde wollte er mal nicht an Church, Mora und Chandler denken, auch nicht an das, was ihm Irving gerade im Konferenzraum erzählt hatte.
Edgar ging jedoch an dem Schlagstock vorbei, der als Türgriff des Sevens diente, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Er überquerte Spring Street und ging am Times -Gebäude vorbei, Richtung Broadway. Dann also zum Red Wind, dachte Bosch.
Das Red Wind war passabel als Kneipe. Sie hatten Weinhard’s nur als Flaschenbier und nicht vom Faß, was Punkteabzug bedeutete. Weitere Minuspunkte gab es für die Yuppies von der Times-Redaktion, die es zu ihrer Stammkneipe erkoren hatten. Oft traten sich hier mehr Reporter als Cops gegenseitig auf die Füße. Ein großer Pluspunkt jedoch war das Jazzquartett, das hier donnerstags und freitags von sechs bis zehn spielte. Es waren Musiker im Ruhestand, die früher in Clubs gespielt hatten, aber es war nicht die schlechteste Art und Weise, den Berufsverkehr zu vermeiden.
Er beobachtete, wie Edgar den Broadway überquerte und auf der First Street blieb, statt links zum Wind hinunterzugehen. Bosch verminderte sein Tempo wieder, damit Edgar seinen anderthalb Block Vorsprung wiedererlangte, und steckte sich eine neue Zigarette an. Er fühlte sich nicht wohl dabei, einen Kollegen zu beschatten, tat es aber trotzdem. Ein schlimmer Verdacht regte sich in ihm.
Edgar ging nach links in die Hill Street und verschwand in der ersten Tür auf der Ostseite, gegenüber dem neuen U-Bahn-Eingang. Es war der Straßeneingang der Hung Jury, einer Bar in der
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