Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton
mit Ihrer Mutter?«
Einen langen Moment sah er Chandler direkt an, bevor er antwortete. Sie blickte nicht weg.
»Wie vorher ausgesagt wurde, sie wurde getötet. Ich war elf. Es geschah in Hollywood.«
»Und niemand wurde je verhaftet, korrekt?«
»Das ist korrekt. Können wir zum nächsten Punkt kommen. Darüber wurde schon ausgesagt.«
Bosch sah zu Belk hinüber, der den Wink verstand und aufstand, um gegen Chandlers Wiederholung von Fragen zu protestieren.
»Detective Bosch, brauchen Sie eine Pause?« fragte Richter Keyes. »Um sich wieder etwas zu beruhigen?«
»Nein danke, ich bin okay.«
»Nun, ich bedaure, aber im Kreuzverhör kann ich korrekte Fragen nicht beschränken. Der Einspruch wird abgelehnt.«
Der Richter nickte Chandler zu.
»Es tut mir leid, Ihnen eine so persönliche Frage zu stellen, aber wuchsen Sie bei Ihrem Vater auf, nachdem sie tot war?«
»Es tut Ihnen nicht leid. Sie …«
»Detective Bosch!« tönte der Richter. »So geht es nicht. Sie müssen die Fragen, die Ihnen gestellt werden, beantworten. Sonst nichts. Beantworten Sie allein die Fragen.«
»Nein. Ich kannte meinen Vater nicht. Ich kam in ein Waisenhaus und dann zu Pflegefamilien.«
»Haben Sie Brüder oder Schwestern.«
»Nein.«
»Der Mann, der Ihre Mutter erdrosselte, nahm Ihnen nicht nur den Menschen, der Ihnen am nächsten stand, er zerstörte mehr oder weniger auch Ihr Leben zu diesem Zeitpunkt?«
»Das könnte man sagen.«
»Hatte das Verbrechen irgend etwas mit Ihrer Entscheidung, Polizist zu werden, zu tun?«
Bosch merkte, er war nicht mehr in der Lage, die Geschworenen anzusehen. Sein Gesicht war rot angelaufen, und er fühlte sich, als ob er unter einem Mikroskop stürbe.
»Ich weiß es nicht. Ich habe es eigentlich nie so genau analysiert.«
»Hatte es etwas mit der Befriedigung zu tun, die Sie beim Erschießen von Mr. Church fühlten?«
»Ich habe schon vorhin gesagt, falls es so etwas wie ein Gefühl der Befriedigung gab – und Sie sind diejenige, die das Wort immer wieder benutzt –, dann hatte es damit zu tun, daß ich den Fall schließen konnte. Um Ihre Wortwahl zu benutzen, der Mann war ein Monster, ein Killer. Ich fühlte Befriedigung, daß wir ihn stoppten. Würden Sie nicht das gleiche fühlen?«
»Ich stelle die Fragen, Detective Bosch«, sagte Chandler. »Die Frage, die ich Ihnen jetzt stellen möchte, ist: Haben Sie die Morde gestoppt? Alle?«
Belk sprang auf und beantragte eine Besprechung am Richtertisch. Der Richter sagte zu den Geschworenen: »Wir machen jetzt doch eine Pause. Wir werden Sie zurückrufen, wenn wir bereit sind.«
17
Belk bat darum, daß man seinen Einspruch außer Hörweite der Presse berate, und der Richter berief eine Anhörung in seinem Büro ein. Daran nahmen der Richter, Chandler, Belk, Bosch, die Stenografin und der Gerichtsdiener teil. Sie mußten einige Stühle aus dem Gerichtssaal mitbringen und versammelten sich dann alle um den riesigen Schreibtisch des Richters. Der Tisch war aus dunklem Mahagoni und hatte die Ausmaße einer Transportkiste, in denen kleine Sportwagen aus dem Ausland importiert wurden.
Als erstes steckte sich der Richter eine Zigarette an. Als Bosch sah, daß sich Chandler anschloß, tat er das gleiche. Der Richter schob den Aschenbecher zur Ecke, so daß sie ihn alle benutzen konnten.
»Also, Mr. Belk, das ist Ihre Beerdigung«, sagte der Richter.
»Euer Ehren, ich habe Bedenken hinsichtlich der Richtung, in die Miss Chandlers Fragen gehen.«
»Nennen Sie sie Ms. Chandler, Mr. Belk. Sie wissen, daß sie das vorzieht. Was die Richtung Ihrer Fragen betrifft, wie können Sie die nach einer einzigen Frage erkennen?«
Es war offensichtlich für Bosch, daß Belk zu früh Einspruch erhoben hatte. Es war nicht erkennbar, wieviel Chandler wußte, abgesehen von dem neuen Brief. Belks Um-den-heißen-Brei-Herumreden war in Bosch’ Augen Zeitverschwendung.
»Richter«, sagte er, »wenn ich die letzte Frage beantworte, gefährde ich laufende Ermittlungen.«
Der Richter lehnte sich in seinem gepolsterten Ledersessel zurück.
»In welcher Hinsicht?«
»Wir glauben, es gibt noch einen anderen Killer«, sagte Bosch. »Die Leiche, die diese Woche gefunden wurde, wurde gestern identifiziert, und man ist zu dem Schluß gekommen, daß Church sie nicht hätte ermorden können. Sie war noch vor zwei Jahren am Leben. Die …«
»Die Vorgehensweise des Mörders stimmt mit der des wahren Puppenmachers überein«, unterbrach ihn Belk. »Die Polizei
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