Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton
glaubt, daß sie es mit einem Nachahmungstäter zu tun hat, der wußte, wie Church tötete, ihn in allen Einzelheiten imitierte. Es gibt Beweisstücke, die es nahelegen, daß der Jünger für das siebte und elfte Opfer verantwortlich ist, welche vorher Church zur Last gelegt wurden.«
Bosch sagte: »Der Jünger muß aus dem Umfeld der damaligen Ermittlungsarbeiten kommen. Es muß jemand sein, der Einzelheiten kennt.«
Belk sagte: »Wenn Sie ihr gestatten, diese Fragen aufs Tapet zu bringen, wird es von den Medien berichtet werden, und der Jünger ist gewarnt. Er wird erkennen, wie nah ihm die Polizei auf der Spur ist.«
Der Richter schwieg einen Moment und ließ sich alles durch den Kopf gehen.
»Das hört sich alles sehr interessant an, und ich wünsche Ihnen viel Glück bei der Jagd nach dem Jünger, wie Sie ihn nennen«, sagte er endlich. »Aber Sie haben das Problem, Mr. Belk, daß Sie mir keinen juristischen Grund gegeben haben, weshalb Ihr Klient diese Frage nicht beantworten sollte. Niemand will laufende Ermittlungen gefährden, aber Sie waren es, der Ihren Klienten als Zeugen aufgerufen hat.«
»Das heißt, falls es überhaupt einen zweiten Mörder gibt«, warf Chandler ein. »Es ist offensichtlich, daß es immer nur einen Mörder gab und daß es nicht Church war. Sie haben sich diese Geschichte …«
»Ms. Chandler«, unterbrach sie der Richter, »das entscheidet die Jury. Sparen Sie sich Ihre Argumente für die Geschworenen auf. Mr. Belk, das Problem ist, es handelt sich um Ihren Zeugen. Sie haben ihn aufgerufen und ihn dadurch diesen Fragen ausgesetzt. Ich weiß nicht, was ich Ihnen sagen soll. Auf alle Fälle werde ich nicht die Reporter aus dem Saal schicken. Was ich jetzt sage, ist inoffiziell, Miss Penny.«
Der Richter wartete, bis sie ihre Finger von der Stenografiermaschine genommen hatte.
»Mr. Belk, Sie sitzen in der Scheiße – entschuldigen Sie den Ausdruck, meine Damen. Er wird die Frage beantworten und die folgende und die danach. Okay, wir gehen zurück.«
Die Stenografin legte ihre Finger wieder auf die Tasten.
»Euer Ehren, das kann nicht …«
»Mr. Belk, ich habe entschieden. Sonst noch was?«
Dann überraschte Belk Bosch.
»Wir beantragen Aussetzung des Verfahrens.«
»Was?«
»Euer Ehren, die Klägerseite ist gegen den Antrag.«
»Das weiß ich«, sagte der Richter. »Was reden Sie da, Mr. Belk?«
»Euer Ehren, Sie müssen diesen Prozeß ein paar Tage aussetzen. Mindestens bis nächste Woche. Das gibt den Ermittlungen eventuell genug Zeit, Früchte zu tragen.«
»Früchte zu tragen? Vergessen Sie es, Belk. Wir sind mitten im Prozeß, mein Freund.«
Belk stand auf und beugte sich über den riesigen, breiten Tisch.
»Euer Ehren, ich beantrage eine einstweilige Aussetzung des Prozesses, während wir die Sache vors Berufungsgericht des neunten Bundesbezirks bringen.«
»Sie können Berufung einlegen, soviel Sie wollen, Mr. Belk. Aber es wird keine Vertagung geben. Wir befinden uns mitten im Prozeß.«
Alle schwiegen und schauten Belk an.
»Was wäre, wenn ich mich weigerte zu antworten?« fragte Bosch.
Richter Keyes blickte ihn lange an und sagte dann: »Ich rüge Sie dann wegen Mißachtung des Gerichts. Danach werde ich Ihnen die Frage noch einmal stellen, und wenn Sie sich wieder weigern, werden Sie inhaftiert. Falls Ihr Anwalt dann beantragt, Sie auf Kaution freizulassen, während das Berufungsverfahren läuft, werde ich es ablehnen. All dies wird sich vor den Augen und Ohren der Geschworenen und der Journalisten abspielen. Und ich werde Ms. Chandler keinerlei Beschränkungen auferlegen, was sie den Reportern draußen auf dem Gang erzählen darf und was nicht. Sie sehen also, Sie können den Helden spielen und nicht antworten, aber die Story wird so oder so an die Medien gelangen. Wie ich vorhin inoffiziell zu Mr. Belk gesagt …«
»Sie können das nicht tun«, platzte Belk plötzlich dazwischen. »Es, es – es ist nicht rechtens. Sie müssen die Ermittlungen schützen. Sie …«
»Mein Sohn, sagen Sie mir nie wieder, was ich tun muß«, sagte der Richter langsam und mit strenger Miene. Er schien mehr Statur zu gewinnen, während Belk in sich zusammenschrumpfte. »Das einzige, was ich tun muß, ist, für einen fairen Prozeß zu sorgen. Sie bitten mich darum, die Information, die für die Sache der Klägerseite entscheidend sein könnte, zurückzuhalten. Sie versuchen auch, mich einzuschüchtern, und das ist etwas, was ich überhaupt nicht ausstehen kann. Ich
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