Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht
gesehen?«, fragte Lockridge. »Diesen Artikel über Bosch, wie er gestern im Gericht von Van Nuys als Zeuge ausgesagt hat?«
»Nein.«
»Die deuten hier an, dass dieser Regisseur ein Serienmörder ist. Hört sich an wie einer deiner alten Fälle, Mann. Und hier, der Typ im Zeugenstand, der mit dem Finger auf ihn zeigt, ist ein …«
»Buddy, ich hab dir doch gesagt, du sollst nicht darüber reden. Oder hast du das schon wieder vergessen?«
»Okay, Entschuldigung. Was ich damit sagen wollte, ist ja nur: Wenn das nicht der blanke Hohn ist, weiß ich echt nicht mehr.«
»Meinetwegen. Aber lass trotzdem gut sein.«
McCaleb sah wieder auf die Uhr. Die Charterkunden hätten um zehn eintreffen sollen. Er richtete sich auf und ging auf die Kajütentür zu.
»Ich gehe mal kurz telefonieren«, sagte er. »Ich habe keine Lust, den ganzen Tag hier rumzusitzen und auf diese Leute zu warten.«
Er öffnete eine Schublade des kleinen Kartentisches in der Kajüte des Boots und nahm das Klemmbrett heraus, an dem die Charterresevierungen befestigt waren. Es waren nur zwei Zettel darauf. Der Charter für diesen Tag und eine Reservierung für den kommenden Samstag. In den Wintermonaten war wenig los. Er studierte die Eintragungen auf dem oberen Blatt. Da Buddy die Reservierung aufgenommen hatte, war er nicht mit den einzelnen Daten vertraut. Der Charter war für vier Männer aus Long Beach. Eigentlich hatten sie schon Freitagabend auf die Insel kommen und im Zane Grey übernachten wollen. Ein Vier-Stunden-Charter – Samstag von zehn bis zwei – und anschließend wollten sie mit der Fähre zurückfahren. Buddy hatte die Privatnummer des Organisators und den Namen des Hotels notiert und die Hälfte der Chartergebühr als Kaution einbehalten.
McCaleb zog die Liste mit Hotels und Telefonnummern zu Rate, die mit Klebstreifen am Kartentisch befestigt war, und rief im Zane Grey an. Dort erfuhr er rasch, dass niemand mit dem Namen des Organisators – die Namen der drei anderen Männer wusste McCaleb nicht – im Hotel wohnte. Darauf wählte er die Privatnummer des Mannes. Es meldete sich seine Frau, die ihm sagte, ihr Mann sei nicht zu Hause.
»Also, wir sind hier auf einem Boot auf Catalina und warten auf ihn. Wissen Sie, ob er und seine Freunde auf dem Weg hierher sind?«
Ein langes Schweigen.
»Sind Sie noch dran, Ma’am?«
»Äh, ja, ja. Es ist nur, dass sie heute nicht fischen gehen. Sie haben mir gesagt, sie haben das Boot abbestellt. Sie sind im Moment gerade beim Golfen. Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen die Handynummer meines Mannes geben. Sie könnten –«
»Das ist nicht nötig, Ma’am. Einen schönen Tag noch.«
McCaleb machte sein Telefon aus. Er wusste genau, was passiert war. Weder er noch Buddy hatten die Mailbox abgefragt, auf der die Anrufe an die Nummer aufgezeichnet wurden, die sie in ihren Annoncen in verschiedenen Telefonbüchern und Anglerzeitschriften angegeben hatten. Als er jetzt unter dieser Nummer anrief und den Code eintippte, wurde die Nachricht abgespielt, die schon am Mittwoch eingegangen war. Die Gruppe bestellte das Boot ab und wollte später einen neuen Termin vereinbaren.
»Aber sicher«, sagte McCaleb.
Er löschte die Nachricht und machte das Telefon aus. Am liebsten hätte er es durch die Glastür und Buddy an den Kopf geworfen, aber er versuchte sich zu beruhigen. Er ging in die kleine Kombüse, holte einen Karton Orangensaft aus dem Kühlschrank und nahm ihn mit nach draußen ins Achterschiff.
»Der Charter heute fällt aus«, sagte er, bevor er einen langen Schluck aus dem Karton nahm.
»Warum?«, fragte Raymond mit unverhohlener Enttäuschung.
McCaleb wischte sich am Ärmel seines langärmeligen T-Shirts den Mund ab.
»Sie haben abgesagt.«
Als Buddy Lockridge von der Zeitung aufsah, starrte ihn McCaleb mit einem Laserblick an.
»Aber die Anzahlung behalten wir doch, oder?«, sagte Buddy. »Ich habe auf Visa eine Zweihundert-Dollar-Anzahlung gekriegt.«
»Nein, wir behalten die Anzahlung nicht, weil sie bereits am Mittwoch abgesagt haben. Wahrscheinlich waren wir beide zu beschäftigt, um die Mailbox abzufragen – wie es sich eigentlich gehört hätte.«
»Oh, Scheiße! Das ist meine Schuld.«
»Buddy, nicht, wenn der Junge dabei ist. Wie oft soll ich dir das noch sagen?«
»Entschuldigung. Entschuldigung.«
McCaleb starrte ihn weiter an. Er hatte erst nach dem Charter über die Hinweise an McEvoy sprechen wollen, weil er auf Buddys Hilfe angewiesen gewesen wäre, um
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