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Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht

Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht

Titel: Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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Wörter auf dem Klebeband ein Schlüssel waren, der sich erst im Schloss drehen ließe, wenn er den vollständigen Text hatte. Er kämpfte gegen den Drang an, die Mordakte aufzuschlagen und dort nachzusehen. Stattdessen machte er den Fernseher wieder an und spielte das Video von der Stelle, an der er es angehalten hatte, weiter ab. Die Kamera war jetzt ganz nahe rangegangen, direkt auf den Mund des Toten und das Klebeband, das sich straff darüber spannte.
    »Das überlassen wir dem Coroner«, sagte Winston. »Haben Sie alles, was Sie davon draufbekommen können, Barn?«
    »Ja«, sagte der unsichtbare Kameramann.
    »Okay, dann fahren wir wieder zurück und sehen uns die Fesselungen an.«
    Die Kamera folgte dem Draht vom Hals zu den Füßen. Der Draht schlang sich um den Hals und lief durch einen Slipstek. Dann führte er die Wirbelsäule entlang zu den Fußgelenken hinab, um die er mehrere Male geschlungen war und die so weit nach hinten gezogen waren, dass die Fersen des Opfers auf sein Gesäß zu liegen kamen.
    Die Handgelenke waren mit einem separaten Stück Draht gefesselt, das sechsmal um sie geschlungen und dann verknotet worden war. Die Schlingen hatten tiefe Einkerbungen in der Haut der Hand- und Fußgelenke hinterlassen und deuteten darauf hin, dass sich das Opfer eine Weile zur Wehr gesetzt hatte, bevor es sich schließlich in das Unvermeidliche fügte.
    Als die videographische Erfassung der Leiche abgeschlossen war, wies Winston den unsichtbaren Kameramann an, eine Videobestandsaufnahme jedes Zimmers der Wohnung zu machen.
    Die Kamera schwenkte von der Leiche weg und erfasste den Rest des Wohn- und Essbereichs. Die Wohnung schien mit Möbeln aus einem Second-Hand-Laden eingerichtet. Es gab keine einheitliche Linie, nichts passte zusammen. So, wie die wenigen gerahmten Bilder an den Wänden aussahen, hätten sie aus dem Zimmer eines Howard Johnson’s vor zehn Jahren stammen können – lauter orangefarbene und blaugrüne Pastellzeichnungen. An der Rückwand des Raums stand ein hoher Geschirrschrank, in dem sich jedoch kein Geschirr befand. Auf einigen Borden waren ein paar Bücher, aber die meisten waren leer. Oben auf dem Geschirrschrank stand etwas, das McCaleb eigenartig fand. Eine sechzig Zentimeter hohe, offensichtlich handbemalte Eule. McCaleb hatte schon viele solcher Vögel gesehen, vor allem im Avalon Harbor und in der Cabrillo Marina. Meistens waren diese Eulen aus Plastik und innen hohl. Sie waren an Mastspitzen oder an den Brücken von Motorbooten angebracht und sollten, was ihnen freilich selten gelang, Möwen und andere Vögel von den Booten fern halten. Dem lag der Gedanke zugrunde, die anderen Vögel würden sich, weil sie die Eule für einen Raubvogel hielten, nicht in ihre Nähe wagen und daher die Boote nicht mit ihren Ausscheidungen verunreinigen.
    Auch an den Fassaden öffentlicher Gebäude, die von Tauben heimgesucht wurden, waren McCaleb diese Eulen schon aufgefallen. Allerdings hatte er noch nie gesehen oder gehört, dass ein solcher Vogel zur Zierde oder aus sonst einem Grund in einer Wohnung aufgestellt wurde. Er wusste, es gab Leute, die alles Mögliche sammelten, Eulen eingeschlossen, aber er hatte in der Wohnung bisher außer der Plastikeule auf dem Geschirrschrank noch keine andere entdeckt. Rasch schlug er den Ordner auf und suchte nach den Personalien des Opfers. Der Beruf des Ermordeten war mit Anstreicher angegeben. McCaleb schloss den Ordner und einen Augenblick lang dachte er, das Opfer könnte die Eule von einer Arbeitsstelle mitgenommen oder von einem Gebäude entfernt haben, das er für einen Anstrich vorbereitet hatte.
    McCaleb spulte das Band zurück und sah sich noch einmal an, wie die Kamera von der Leiche zum Geschirrschrank schwenkte, auf dem die Eule hockte. Es schien McCaleb, dass der Kameramann dabei eine 180-Grad-Drehung vollführte. Demzufolge musste die Eule direkt auf das Opfer hinabgeblickt haben.
    Auch wenn es andere Möglichkeiten gab, hatte McCaleb das untrügliche Gefühl, dass die Plastikeule irgendwie ein Bestandteil der Mordszenerie war. Er griff nach seinem Notizbuch und trug die Eule als sechsten Punkt in die Liste ein.
    * * *
    Die restlichen Videoaufnahmen vom Tatort enthielten nichts, was McCalebs Interesse weckte. Sie dokumentierten die übrigen Räume der Wohnung des Opfers – Schlafzimmer, Bad und Küche. Er entdeckte keine weiteren Eulen und machte sich keine weiteren Notizen. Als das Band zu Ende war, spulte er es zurück und sah es sich

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