Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht
Annabelle Crowe keine Sekunde aus den Augen, während die Anwälte flüsternd konferierten. Er studierte ihr Gesicht. Es war immer noch ein Pinselstrich Auflehnung darin, aber er wurde von Angst eingekreist. Sie wusste, dass gleich etwas kommen würde. Bosch gelangte zu der Überzeugung, dass Fowkkes auf einen wunden Punkt gestoßen war. Es musste etwas sein, was für sie, und damit auch für den Fall, unangenehm werden würde.
Als die Unterredung beendet war, kehrten Kretzler und Langwiser an den Tisch der Anklage zurück. Kretzler neigte sich Bosch zu.
»Jetzt können wir einpacken«, flüsterte er. »Er hat vier Männer, die bezeugen werden, sie für Sex bezahlt zu haben. Warum wussten wir davon nichts?«
Bosch antwortete nicht. Es war seine Aufgabe gewesen, Annabelle Crowe auf den Prozess vorzubereiten. Er hatte sie ausführlich über ihr Privatleben befragt und anhand ihrer Fingerabdrücke überprüfen lassen, ob sie einmal festgenommen worden war. Ihre Antworten und der Computercheck hatten keinerlei Anlass zu Beanstandungen gegeben. Da sie nie wegen Prostitution verhaftet worden war und jegliche kriminellen Aktivitäten geleugnet hatte, gab es nicht viel mehr, was er noch hätte tun können.
Zurück am Pult formulierte Fowkkes die Frage neu.
»Ms. Crowe, haben Sie jemals von Männern als Gegenleistung für Sex Geld genommen?«
»Nein, niemals. Das ist eine Lüge.«
»Kennen Sie einen Mann namens André Snow?«
»Ja.«
»Wenn er unter Eid aussagen würde, dass er Sie für eine sexuelle Beziehung bezahlt hat, würde er dann lügen?«
»Ja, das würde er.«
Fowkkes nannte drei andere Männer und sie durchliefen jedes Mal die gleiche Prozedur. Crowe bestätigte, sie zu kennen, leugnete aber, ihnen jemals Sex verkauft zu haben.
»Haben Sie denn jemals Geld von diesen Männern genommen, wenn auch nicht für Sex?«, fragte Fowkkes mit gespielter Gereiztheit.
»Ja, gelegentlich. Aber das hatte nichts damit zu tun, ob wir Sex miteinander hatten oder nicht.«
»Womit hatte es dann zu tun?«
»Dass sie mir helfen wollten. Ich betrachtete sie als Freunde.«
»Hatten Sie jemals Sex mit ihnen?«
Annabelle Crowe blickte auf ihre Hände hinab und schüttelte den Kopf.
»Sagen Sie damit nein, Ms. Crowe?«
»Ich sage damit, dass ich nicht jedes Mal Sex mit ihnen hatte, wenn sie mir Geld gegeben haben. Sie gaben mir nicht jedes Mal Geld, wenn wir Sex hatten. Das eine hatte nichts mit dem anderen zu tun. Sie versuchen es als etwas hinzustellen, was es nicht war.«
»Ich stelle nur Fragen, Ms. Crowe. Das ist meine Aufgabe. Und Ihre Aufgabe ist es, den Geschworenen die Wahrheit zu sagen.«
Nach einer langen Pause sagte Fowkkes, er habe keine weiteren Fragen.
Bosch merkte, dass er die Lehnen seines Stuhls so fest umklammert hatte, dass seine Fingerknöchel weiß und taub geworden waren. Er rieb die Hände aneinander und versuchte sich zu entspannen, aber er es gelang ihm nicht. Er wusste, Fowkkes war ein Meister seines Fachs. Jeder seiner Stiche saß. Seine Fragen waren knapp und auf den Punkt und so verheerend wie ein Stilett. Bosch merkte, der Grund seines Unbehagens waren nicht nur Annabelle Crowes Exponiertheit und öffentliche Demütigung. Sondern auch seine Exponiertheit. Er wusste, als Nächstes würde dieses Stilett auf ihn gerichtet.
40
S ie holten sich von der Barfrau, deren Ausschnitt mit einem stacheldrahtumschlungenen Herzen tätowiert war, zwei Flaschen Rolling Rock und setzten sich in eine Nische des Nat’s. Als die Frau die Flaschen aus dem Kühlfach genommen und geöffnet hatte, hatte sie mit keinem Wort erwähnt, dass McCaleb vor kurzem hier gewesen war und sich nach dem Mann erkundigt hatte, mit dem er jetzt hergekommen war. Es war früh und bis auf die paar Kampftrinker an der Bar und in der hintersten Sitznische war das Lokal leer. In der Musikbox lief Bruce Springsteen, »There’s a Darkness at the Edge of Town«.
McCaleb betrachtete Bosch aufmerksam. Er hatte den Eindruck, dass ihn etwas beschäftigte, wahrscheinlich der Prozess. Die letzte Zeugin war bestenfalls nutzlos gewesen. Bei der direkten Befragung gut, beim Kreuzverhör schlecht. Die Sorte Zeuge, auf die man verzichtet – wenn man die Wahl hat.
»Mit Ihrer letzten Zeugin haben Sie wohl Pech gehabt.«
Bosch nickte.
»Das war meine Schuld. Eigentlich hätte ich es ahnen müssen. Ich habe ihr auf den Zahn gefühlt, aber dann fand ich, sie ist so schön, dass sie unmöglich … Ich habe ihr einfach geglaubt.«
»Ich weiß,
Weitere Kostenlose Bücher