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Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht

Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht

Titel: Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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gezeigt hatte, waren keine Fingerabdrücke auf dem Band gewesen, aber von der haftenden Rückseite waren mehrere Haare und mikroskopisch kleine Fasern entfernt worden. Die Haare stammten, wie sich herausstellte, vom Opfer. Die Fasern wurden vorbehaltlich einer Anweisung zu ihrer weiteren Untersuchung aufbewahrt. Das verriet McCaleb, dass der Fall einer Zeit- und Kostenbeschränkung unterlag. Die Fasern würden erst analysiert, wenn die Ermittlungen so weit gediehen waren, dass der Polizei Fasern von persönlichen Gegenständen eines Verdächtigen zur Verfügung standen, die sich ebenfalls analysieren und mit ihnen vergleichen ließen. Andernfalls wäre die kostspielige und zeitaufwändige Analyse der Fasern auf dem Klebeband überflüssig. Solche streng nach Prioritäten abgewickelten Ermittlungen waren McCaleb nichts Neues. Bei der Verbrechensaufklärung auf lokaler Ebene war es gang und gäbe, kostspielige Maßnahmen erst dann zu ergreifen, wenn sie nötig wurden. Es überraschte ihn jedoch etwas, dass dies in diesem Fall nicht für nötig erachtet worden war. Daraus schloss er, dass Gunn aufgrund seiner Vergangenheit als Mordverdächtiger in eine niedrigere Kategorie von Opfer gefallen war, für die diese zusätzliche Maßnahme nicht ergriffen wurde. Vielleicht, dachte McCaleb, war das der Grund, weshalb Jaye Winston zu ihm gekommen war. Sie hatte nichts von einer finanziellen Entschädigung für seinen Zeitaufwand erwähnt – wobei er eine solche auch nicht angenommen hätte.
    Er wandte sich dem Nachtrag zu, den Winston angefügt hatte. Sie hatte die Fotos von der Nachricht auf dem Klebeband einem Linguistikprofessor der UCLA gezeigt, der den Text als Latein identifizierte und sie an einen pensionierten katholischen Priester weiterverwies, der im Pfarrhaus von St. Catherine in Hollywood lebte und an der Schule der Kirche zwanzig Jahre lang Latein unterrichtet hatte, bis es Anfang der siebziger Jahre vom Lehrplan gestrichen worden war. Er hatte Winston die Nachricht aus dem Stegreif übersetzt.
    Als McCaleb die Übersetzung las, spürte er das Adrenalin, das wie eine Feder sein Rückgrat hinauf zu seinem Nacken strich. Seine Haut spannte sich und er bekam fast eine Art Schwindelgefühl.

    Cave Cave Dus Videt
    Cave Cave D(omin)us Videt
    Hab Acht Hab Acht Gott sieht

    »Heilige Kacke«, murmelte McCaleb leise.
    Das war kein Ausdruck des Erstaunens. Vielmehr war es eine Wendung, mit der er und Profilerkollegen beim FBI salopp all jene Fälle bezeichnet hatten, in denen das Beweismaterial religiöse Anspielungen enthielt. Wenn Gott als Motiv eines Verbrechens ins Spiel kam, hatten sie das unter sich einen »Heilige-Kacke«-Fall genannt. Das verlieh der Sache auch gleich ganz andere Di mensionen, denn Gottes Werk war nie vollständig verrichtet. Wenn ein Mörder Seinen Namen im Impressum seiner Tat aufführte, bedeutete das oft, dass es weitere Verbrechen geben würde. In den Profilerbüros des FBI hieß es, Gottes Killer hörten nie von selbst auf. Sie mussten aufgehalten werden. Jetzt verstand McCaleb, warum Jaye Winston nicht wollte, dass dieser Fall Staub ansetzte. Wenn Edward Gunn das erste bekannte Opfer war, dann hatte der Killer aller Wahrscheinlichkeit nach schon ein zweites im Visier.
    McCaleb notierte sich die Übersetzung der Nachricht des Mörders und ein paar andere Gedanken. Er schrieb Opferbeschaffung und unterstrich das Wort zweimal.
    Als er sich wieder Winstons Bericht zuwandte, stellte er fest, dass am unteren Rand der Seite, auf der sich die Übersetzung befand, eine mit einem Sternchen versehene Anmerkung stand.

    * Laut Father Ryan ist das Wort ›Dus‹, wie es auf dem Klebeband zu sehen ist, eine Kurzform von ›Deus‹ oder ›Dominus‹, die man vor allem in mittelalterlichen Bibeln sowie in kirchlichen Reliefdarstellungen und anderen Kunstwerken findet.

    McCaleb lehnte sich in seinen Stuhl zurück und nahm einen Schluck aus der Wasserflasche. Diese Anmerkung fand er das Interessanteste an dem ganzen Material. Mit Hilfe der Information, die sie enthielt, ließ sich die Zahl der Mordverdächtigen auf eine kleine Gruppe eingrenzen, was die Suche nach dem Mörder möglicherweise erheblich erleichtern würde. Vorläufig war der Personenkreis der Verdächtigen noch sehr groß – es gehörte praktisch jeder dazu, der am Silvesterabend Zugang zu Edward Gunn gehabt hatte. Doch die Information von Father Ryan engte diesen Kreis ganz erheblich ein, und zwar auf all jene, die sich mit

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