Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht
antwortete schnell, um nicht über die Frage nachdenken zu müssen.
»Keine Ahnung.«
* * *
Nachdem Winston die Plastikeule in die Beweisstückschachtel zurückgestellt, alle Abbildungen, die er ihr gezeigt hatte, eingepackt und die Kajüte verlassen hatte, stellte sich McCaleb an die Schiebetür und beobachtete, wie sie die Rampe hinauf zum Tor ging. Er sah auf die Uhr und stellte fest, dass er noch viel Zeit hatte, bevor er sich für den Abend fertig machen musste. Er beschloss, im Court TV den Prozess ein wenig zu verfolgen.
Er blickte wieder nach draußen und sah, wie Winston die Schachtel mit der Eule in den Kofferraum ihres Wagens stellte. In diesem Moment räusperte sich hinter ihm jemand. Als McCaleb sich abrupt umdrehte, blickte Buddy Lockridge vom Unterdeck zu ihm hoch. Er hatte einen Stapel Kleider in den Armen.
»Buddy, was machst du denn hier?«
»Mann, das ist aber vielleicht ein komischer Fall, an dem du da arbeitest.«
»Ich habe gefragt, was du hier machst?«
»Ich wollte meine Sachen waschen und bin rübergekommen, weil ein Teil von meinen Klamotten unten in der Koje ist. Dann seid ihr zwei aufgetaucht, und als ihr zu reden angefangen habt, war mir klar, dass ich jetzt nicht hochkommen kann.«
Zum Beweis für die Richtigkeit seiner Geschichte hielt er die Kleider in seinen Armen hoch.
»Deshalb habe ich mich einfach aufs Bett gesetzt und gewartet.«
»Und alles mitgehört, was wir gesprochen haben.«
»Das ist echt ein irrer Fall, Mann! Was willst du jetzt tun? Ich habe diesen Bosch im Court TV gesehen. Sieht mir ein bisschen so aus, als stünde er unter Hochspannung.«
»Ich weiß nur, was ich nicht tun werde. Ich werde nicht mit dir darüber sprechen.«
Er deutete auf die Glastür.
»Geh jetzt, Buddy, und erzähl keinem Menschen ein Wort davon. Hast du mich verstanden?«
»Klar, verstehe. Ich wollte gerade –«
»Gehen.«
»Tut mir Leid, Mann.«
»Mir auch.«
McCaleb öffnete die Schiebetür und Lockridge schlich wie ein Hund mit eingezogenem Schwanz nach draußen. McCaleb musste sich beherrschen, ihm keinen Tritt in den Hintern zu verpassen. Stattdessen schob er wütend die Tür zu, so dass sie mit einem lauten Knall zuschlug. Er blieb davor stehen und starrte durch das Glas, bis er sah, dass Lockridge das Ende der Rampe erreicht hatte und auf das Gebäude zusteuerte, in dem sich der Waschsalon befand.
Der Umstand, dass Buddy ihr Gespräch belauscht hatte, kompromittierte die Ermittlungen. McCaleb wusste, er sollte sofort versuchen, Winston über ihren Pager zu erreichen, und sie fragen, wie sie auf den Vorfall reagieren wollte. Aber er tat es nicht. Tatsächlich wollte er nichts tun, was zur Folge hätte, dass er von den Ermittlungen ausgeschlossen würde.
19
N achdem er seine Hand auf die Bibel gelegt und geschworen hatte, die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen, nahm Harry Bosch im Zeugenstand Platz und blickte zu der Kamera hoch, die über der Geschworenenbank an der Wand befestigt war. Die Augen der Welt waren auf ihn gerichtet. Der Prozess wurde im Court TV live übertragen und auf lokaler Ebene in Channel 9. Er versuchte, sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen. Tatsache war jedoch, dass ihn nicht nur die Geschworenen scharf beobachten würden, um sich anhand seines Auftretens ein Bild über seine Persönlichkeit zu machen. Es war das erste Mal seit vielen Jahren, dass er bei einer Zeugenaussage in einem Strafprozess nicht vollkommen ruhig war. Auf der Seite der Wahrheit zu sein war kein Trost, wenn man wusste, dass die Wahrheit einen schwierigen Hinderniskurs zu bewältigen hatte, den ihr ein wohlhabender, einflussreicher Angeklagter und sein wohlhabender, einflussreicher Anwalt gesteckt hatten.
Er legte den blauen Ordner – die Mordakte – auf den vorderen Rand des Zeugenstands und zog das Mikrophon zu sich heran, worauf sofort ein schrilles Pfeifen ertönte, das jedem Paar Ohren im Gerichtssaal weh tat.
»Bitte das Mikrophon nicht anfassen, Detective Bosch«, warnte der Richter.
»Entschuldigung.«
Ein Deputy Sheriff, der als Gerichtsdiener fungierte, kam zum Zeugenstand, machte das Mikrophon aus und stellte es an seinen Platz zurück. Als Bosch nickte, machte es der Gerichtsdiener wieder an. Dann forderte er Bosch auf, seinen vollen Namen zu nennen und zu buchstabieren.
»Gut«, sagte der Richter, als Bosch damit fertig war. »Ms. Langwiser?«
Deputy District Attorney Janis Langwiser erhob sich vom Tisch der Anklage
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