Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht
und ging zum Pult für die Anwälte. Sie hatte einen gelben Notizblock mit ihren Fragen bei sich. Sie spielte nur die zweite Geige am Tisch der Anklage, war aber seit Beginn des Verfahrens mit den Ermittlungen befasst. Deshalb hatte man beschlossen, Boschs Befragung ihr zu überlassen.
Langwiser war eine junge, aufstrebende Anwältin bei der Bezirksstaatsanwaltschaft. Nachdem sie zunächst nur für die erfahreneren Anwälte der Staatsanwaltschaft Fälle eingereicht hatte, hatte sie sich innerhalb weniger Jahre so weit hochgearbeitet, dass sie inzwischen auch schon selbst Fälle vor Gericht vertreten durfte. Bosch hatte in einem tückischen und politisch hochbrisanten Fall, der als die Angels-Hight-Morde bekannt wurde, bereits einmal mit ihr zusammengearbeitet. Aufgrund der positiven Erfahrungen, die er dabei mit ihr gemacht hatte, hatte er sie als Kretzlers Mitanklägerin vorgeschlagen und im Zuge ihrer zweiten Zusammenarbeit seinen früheren Eindruck von ihr bestätigt gefunden. Sie war bestens mit den Fakten des Falls vertraut. Mussten die meisten anderen Anwälte erst einmal ausgiebig in ihren Unterlagen blättern, um ein bestimmtes Detail zu finden, hatte sie die jeweilige Information und die Stelle, wo sie in den Akten zu finden war, im Kopf. Dennoch ging ihr über diesen Detailkenntnissen nicht der Blick fürs große Ganze verloren – nämlich darauf, dass alle ihre Bemühungen darauf hin abzielten, David Storey ein für allemal aus dem Verkehr zu ziehen.
»Guten Tag, Detective Bosch«, begann sie. »Könnten Sie den Geschworenen bitte etwas über Ihre Laufbahn bei der Polizei erzählen?«
Bosch räusperte sich.
»Ja. Ich bin seit achtundzwanzig Jahren beim Los Angeles Police Department. Mehr als die Hälfte dieser Zeit habe ich mich mit der Aufklärung von Mordfällen befasst. Ich bin Detective drei im Morddezernat der Hollywood Division.«
»Was bedeutet ›Detective drei‹?«
»Das bedeutet Detective dritten Grades. Es ist der höchste Detective-Dienstgrad, vergleichbar mit dem eines Sergeant. Aber im LAPD gibt es keine Detective Sergeants. Nach einem Detective drei kommt als Nächstes Detective Lieutenant.«
»In wie vielen Mordfällen, würden Sie sagen, haben Sie während Ihrer Laufbahn schon ermittelt?«
»So genau führe ich da nicht Buch. Aber ich würde sagen, in mindestens ein paar hundert in fünfzehn Jahren.«
»In ein paar hundert?«
Langwiser sah zur Geschworenenbank, als sie das letzte Wort betonte.
»Plus oder minus ein paar.«
»Und als Detective drei sind Sie im Moment als Supervisor im Morddezernat tätig?«
»Ich habe verschiedene Supervisionsaufgaben. Außerdem bin ich der Leiter eines Drei-Personen-Teams, das sich mit der Aufklärung von Mordfällen befasst.«
»In dieser Funktion standen Sie auch dem Team vor, das am dreizehnten Oktober letzten Jahres an den Tatort eines Mordes gerufen wurde. Ist das richtig?«
»Das ist richtig.«
Bosch blickte zum Tisch der Verteidigung. David Storey hatte den Kopf gesenkt und zeichnete mit seinem Filzstift auf einem Skizzenblock. Das tat er schon, seit die Auswahl der Geschworenen begonnen hatte. Boschs Blick wanderte zu seinem Verteidiger weiter und blieb auf den Augen von J. Reason Fowkkes haften. Dort ließ er ihn verweilen, bis Langwiser ihre nächste Frage stellte.
»Das war der Mord an Donatella Speers?«
Bosch sah wieder Langwiser an.
»So ist es. Das war der Name, den sie benutzte.«
»War das nicht ihr richtiger Name?«
Bosch blickte zu den Zuschauerbänken und sah die Mutter des Opfers hinter dem Tisch der Anklage in der ersten Reihe sitzen. Sie war am Abend zuvor aus Fresno nach Los Angeles gekommen.
»Es war ihr Künstlername, wie man es vermutlich nennen würde. Sie war Schauspielerin. Sie hat sich einen anderen Namen zugelegt. Ihr richtiger Name war Jody Krementz.«
An dieser Stelle unterbrach ihn der Richter und bat ihn, die Namen für den Protokollführer zu buchstabieren. Dann fuhr Langwiser fort:
»Schildern Sie uns die näheren Umstände dieses Einsatzes, nehmen Sie uns an der Hand und suchen Sie den Tatort noch einmal gemeinsam mit uns auf, Detective Bosch. Wo waren Sie, was haben Sie getan, wie wurde es Ihr Fall?«
Bosch räusperte sich und hatte schon die Hand ausgestreckt, um das Mikrophon zu sich heranzuziehen, als ihm einfiel, was letztes Mal passiert war. Er ließ das Mikrophon stehen, wo es war, und beugte sich zu ihm vor.
»Meine zwei Partner und ich aßen gerade im Musso and Frank’s, einem
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