Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht
erzählen, schien echt. Sie war den Tränen nahe.
»Und dann … dann bekam ich plötzlich totale Panik – ich meine, er war direkt neben mir – ich stieg vom Stepper und rannte in die Umkleidekabine. Ich traute mich eine Stunde lang nicht mehr raus und selbst dann hatte ich noch Angst, er könnte draußen auf mich warten. Mir auflauern.«
Sie begann zu weinen. Bosch stand auf. Er ging aus dem Zimmer und sah in die Toilette. Dort gab es eine Packung Papiertücher. Er nahm sie ins Besprechungszimmer mit, gab sie Annabelle Crowe und setzte sich wieder.
»Wo ist dieses Fitnessstudio?«
»Gar nicht weit von hier. Das Crunch, an der Ecke Sunset und Crescent Heights.«
Bosch nickte. Er wusste, wo das war. Es lag im selben Einkaufs- und Unterhaltungszentrum, in dem Jody Krementz in einem Café David Storey kennen gelernt hatte. Er fragte sich, ob da ein Zusammenhang bestand. Vielleicht war Storey im Crunch Mitglied. Vielleicht hatte er jemanden, der dort mit ihm trainierte, damit beauftragt, Annabelle Crowe zu drohen.
»Haben Sie sich diesen Kerl näher angesehen?«
»Ja, aber das wird Ihnen nicht groß weiterhelfen. Ich weiß nicht, wer er war. Ich habe ihn weder zuvor noch danach wieder gesehen.«
Bosch dachte an Rudy Tafero.
»Wissen Sie, wer der Ermittler der Verteidigung ist? Ein gewisser Rudy Tafero? Groß, schwarzes Haar, gesunde Bräune. Ziemlich gut aussehender Typ?«
»Ich weiß zwar nicht, wen Sie meinen, aber der Mann aus dem Fitnessstudio ist es bestimmt nicht. Der war nämlich klein und hatte eine Glatze. Und eine Brille trug er auch.«
Die Beschreibung sagte Bosch nichts. Er beschloss, die Sache vorerst auf sich beruhen zu lassen. Er musste Langwiser und Kretzler über die Drohung in Kenntnis setzen. Möglicherweise wollten sie damit zu Judge Houghton gehen. Möglicherweise wollten sie auch, dass er ins Crunch ging und sich ein wenig umhörte, ob er vielleicht etwas von Annabelle Crowes Story bestätigt bekam.
»Und was wollen Sie jetzt machen?«, fragte sie. »Mich zur Aussage zwingen?«
»Das ist nicht meine Sache. Das werden die Ankläger entscheiden, wenn ich ihnen Ihre Geschichte erzählt habe.«
»Glauben Sie sie denn?«
Nach kurzem Zögern nickte Bosch.
»Trotzdem müssen Sie vor Gericht erscheinen. Sie haben eine Vorladung erhalten. Seien Sie morgen zwischen zwölf und eins da, dann werden sie Ihnen sagen, was sie machen wollen.«
Bosch wusste, sie würden sie aussagen lassen. Ob die Drohung ernst gemeint war oder nicht, interessierte sie nicht. Ihnen ging es nur um den Fall. Annabelle Crowe würde geopfert, um David Storey zu kriegen. Ein kleiner Fisch, um einen großen zu fangen. So lief das nun mal.
Bosch forderte sie auf, ihre Handtasche auszuleeren. Er sah ihre Sachen durch und fand einen Zettel mit einer Adresse und einer Telefonnummer. Es war ein möbliertes Apartment in Burbank. Sie gab zu, dass sie ihre Sachen eingelagert und sich in diesem Apartment einquartiert hatte, um das Ende des Prozesses abzuwarten.
»Ich gebe Ihnen noch mal eine Chance, Annabelle, und sperre Sie heute Abend nicht ein. Aber ich habe Sie diesmal gefunden und werde Sie auch das nächste Mal finden. Sollten Sie morgen nicht auftauchen, komme ich Sie holen. Und dann wandern Sie auf der Stelle in eine Arrestzelle, ist das klar?«
Sie nickte.
»Werden Sie kommen?«
Sie nickte wieder.
»Ich hätte nie zu Ihnen kommen sollen.«
Bosch nickte. Sie hatte Recht.
»Dafür ist es jetzt zu spät. Was Sie getan haben, war richtig. Damit müssen Sie jetzt leben. Das ist das Komische mit unseren Gerichten. Da beschließt man, tapfer zu sein und den Kopf hinzuhalten, und schon lassen sie einen nicht mehr aus den Klauen.«
21
B osch hatte gerade eine Art-Pepper-CD laufen und telefonierte mit Janis Langwiser, als jemand an die Fliegengittertür seines Hauses klopfte. Er ging aus der Küche auf den Gang hinaus und sah einen Mann durch das feinmaschige Drahtgeflecht spähen. Verärgert über die Aufdringlichkeit eines Vertreters, ging er zur Tür, um sie wortlos zuzumachen. Doch dann sah er, dass es Terry McCaleb war. Während er zuhörte, wie Langwiser am Telefon weiter wegen möglicher Zeugenbeeinflussung Dampf abließ, machte er die Außenbeleuchtung an, öffnete die Fliegengittertür und winkte McCaleb ins Haus.
McCaleb signalisierte ihm, er solle ruhig zu Ende telefonieren. Bosch beobachtete, wie er durch den Wohnraum und auf die Terrasse ging, um auf die Lichter des Cahuenga Pass hinabzublicken. Er
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