Harry Bosch 09 - Letzte Warnung
vorgeworfen worden. Er wusste, was ihm blühte, falls diese Aufnahmen an die Öffentlichkeit drangen. Milton arbeitete für ihn, weshalb er mit ihm zu Fall käme. Das Rodney-King-Video hatte eine Schneise durch das LAPD geschlagen, die bis ganz nach oben reichte. Peoples war klug genug, um zu wissen, dass er unter die Räder käme, wenn er dieses Problem nicht in den Griff bekam.
»Ich bin entsetzt über das, was ich gesehen habe. Zuallererst möchte ich mich bei Ihnen entschuldigen, und ich habe vor, diesen Mann, Lawton Cross, aufzusuchen und mich auch bei ihm zu entschuldigen.«
»Das ist nett von Ihnen.«
»Denken Sie bloß nicht, dass das unser übliches Vorgehen ist. Dass das gang und gäbe ist. Dass ich das gutheiße. Agent Milton kann einpacken. Er ist erledigt. Das war mir von dem Moment an klar, in dem ich diese Aufnahme sah. Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass er dafür belangt wird, aber er wird sehr lang keine Dienstmarke tragen. Keine FBI-Marke. Dafür werde ich sorgen.«
Ich nickte.
»Gut, dafür werden Sie sorgen.«
Ich sagte es mit hochkarätigem Sarkasmus, und ich konnte sehen, es brachte etwas Farbe in seine Wangen. Die Farbe der Wut.
»Sie wollten, dass wir uns treffen, Bosch. Was wollen Sie?«
Da war sie. Die Frage, auf die ich wartete.
»Sie wissen, was ich will. Ich will, dass Sie und Ihre Leute mich in Ruhe lassen. Ich will meine Akte und meine Notizen zurückhaben. Ich will Lawton Cross' Akte zurückhaben. Ich will eine Kopie des LAPD-Mordbuchs – ich weiß, dass Sie es haben – und ich möchte Zugang zu Aziz und zu allem, was Sie über ihn haben.«
»Was wir über ihn haben, unterliegt der Geheimhaltung. Es ist eine Frage der inneren Sicherheit. Wir können nicht …«
»Dann heben Sie die Geheimhaltung auf. Ich will wissen, wo er sich an zwei bestimmten Abenden aufgehalten hat. Für irgendetwas müssen diese ganzen FBI-Ermittlungen doch gut sein, und das will ich haben. Und dann möchte ich mit ihm reden.«
»Mit wem? Mit Aziz? Das können Sie vergessen.«
Ich beugte mich über den Tisch.
»Das glaube ich nicht. Denn die Alternative ist, dass jeder, der einen Fernseher oder AOL hat, zu sehen bekommt, was Ihr Mann Milton einem hilflosen Mann in einem Rollstuhl angetan hat, bei dem es sich, wohlgemerkt, auch noch um einen hochdekorierten ehemaligen Polizisten handelt, der im Dienst der Kontrolle über seinen Körper und sein Leben beraubt wurde. Wenn Sie glauben, das Rodney-King-Video hat dem LAPD geschadet, dann warten Sie erst mal ab, was diese Aufnahmen anrichten werden. Ich garantiere Ihnen, dass Milton und Sie und der ganze neunte Stock schneller vom FBI und vom Attorney General und allen anderen aufgelöst wird, als Sie Bürgerrechtsverletzung sagen können. Haben Sie das verstanden, Special Agent Peoples?«
Ich ließ ihm einen Moment Zeit, um zu reagieren, aber das tat er nicht. Sein Blick war starr, und er stierte aus dem Fenster auf den Wilshire Boulevard hinaus.
»Und wenn Sie auch nur eine Sekunde lang denken, das würde ich nicht durchziehen, dann wissen Sie nicht, mit wem Sie es zu tun haben.«
Diesmal wartete ich lange genug, und schließlich kehrte sein Blick vom Fenster zu mir zurück. Die Bedienung kam und stellte unsere Kaffeetassen auf den Tisch und sagte, mein Eisbecher werde gleich kommen. Weder Peoples noch ich sagten danke.
»Glauben Sie mir«, sagte Peoples, »ich weiß, dass Sie davor nicht zurückschrecken werden. Sie sind einer von dieser Sorte, Bosch. Ich kenne diese Sorte. Sie werden sich und Ihre persönlichen Interessen über das Allgemeinwohl stellen.«
»Verschonen Sie mich bitte mit Ihrem Gemeinwohl. Damit hat das hier nämlich überhaupt nichts zu tun. Geben Sie mir, was ich haben will, und Sie können weitermachen, als ob nichts geschehen wäre. Niemand bekommt diese Aufnahmen zu sehen. Dient das etwa nicht dem Allgemeinwohl?«
Peoples beugte sich vor, um einen Schluck von seinem Kaffee zu nehmen. Wie in der Zelle im neunten Stock verbrannte er sich den Mund und verzog das Gesicht. Er schob Tasse und Untertasse von sich, dann rutschte er an den äußeren Rand der Sitzbank und schaute zu mir zurück.
»Sie hören von mir.«
»In vierundzwanzig Stunden. Entweder ich höre bis morgen Abend um diese Zeit von Ihnen, oder das Spiel ist aus. Dann gehe ich an die Öffentlichkeit.«
Er stand auf, blieb aber am Tisch stehen und sah mich, immer noch die Serviette in der Hand, an. Zum Zeichen dafür, dass er einverstanden war, nickte er
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