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Harry Bosch 15 - Neun Drachen

Harry Bosch 15 - Neun Drachen

Titel: Harry Bosch 15 - Neun Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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winkte Li am Ladentisch beiläufig zu und ging in den hinteren Teil des Getränkemarkts. Trotz der körnigen Aufnahme war deutlich zu erkennen, dass der Kunde ein Asiate Anfang dreißig war. Die zweite Kamera zeigte, wie er zu einem der Kühlschränke ging und eine Dose Bier herausnahm. Damit ging er dann wieder nach vorn an den Ladentisch.
    »Was macht der Kerl da?«, fragte Gandle.
    »Schauen Sie einfach«, sagte Bosch.
    Am Ladentisch sagte der Kunde etwas zu Li, worauf der alte Chinese zu dem Drahtgestell über ihm hochfasste und eine Stange Camel herausnahm. Er legte sie auf den Ladentisch und packte die Bierdose in eine kleine braune Papiertüte.
    Der Kunde hatte eine beeindruckende Figur. Er war klein und gedrungen, hatte aber dicke Arme und breite Schultern. Er warf einen Geldschein auf den Ladentisch, und Li nahm ihn und öffnete die Kasse. Er legte den Schein in das letzte Fach der Schublade, zählte mehrere Scheine Wechselgeld ab und reichte sie dem Kunden. Dieser nahm sie und steckte sie ein. Dann klemmte er sich die Stange Zigaretten unter den Arm, griff nach dem Bier und deutete mit dem Zeigefinger seiner freien Hand wie mit einer Pistole auf Li. Er bewegte den Daumen, als drückte er ab, und verließ den Laden.
    Bosch hielt die Aufnahme an.
    »Was sollte das jetzt?«, fragte Gandle. »War das mit dem Finger eine Drohung? Haben Sie das gemeint?«
    Ferras sagte zwar nichts, aber Bosch war sich ziemlich sicher, dass sein junger Partner bemerkt hatte, was Bosch ihm und Gandle hatte vorführen wollen. Er spulte die Aufnahme zurück und spielte sie noch einmal ab.
    »Fällt dir irgendwas auf, Ignacio?«
    Ferras machte einen Schritt nach vorn, um auf den Bildschirm deuten zu können.
    »Zuallererst, der Typ ist Asiate. Er ist also nicht aus dem Viertel.«
    Bosch nickte.
    »Ich habe mir vierundzwanzig Stunden Videoaufnahmen angesehen. Der Kerl war außer Li und seiner Frau der einzige Asiate, der in den Laden gekommen ist. Was noch, Ignacio?«
    »Das Wechselgeld«, sagte Ferras. »Er bekommt mehr heraus, als er Li gegeben hat.«
    Auf dem Bildschirm war zu sehen, wie Li die Scheine aus der Kasse nahm.
    »Da, Li legt den Geldschein, den ihm der Typ gegeben hat, in die Schublade, und dann gibt er ihm Geld zurück, unter anderem auch den Schein, den er gerade bekommen hat. Der Typ kriegt also das Bier und die Zigaretten umsonst und dazu noch das ganze Geld.«
    Bosch nickte. Ferras war gut.
    »Wie viel hat er genau bekommen?«, fragte Gandle.
    Das war eine gute Frage. Die Aufnahme war nämlich zu körnig, um den Wert der einzelnen Scheine erkennen zu können.
    »Die Schublade hat vier Fächer«, sagte Bosch. »Jeweils einen für Einer, Fünfer, Zehner und Zwanziger. Ich habe mir die Aufnahme gestern Nacht in Zeitlupe angesehen. Li legt den Schein des Kunden in das vierte Fach. Eine Stange Zigaretten und ein Bier. Es müsste also das Fach für die Zwanziger sein. Vorausgesetzt, das ist richtig, gibt Li dem Kerl einen Einer, einen Fünfer, einen Zehner und elf Zwanziger. Beziehungsweise zehn Zwanziger, wenn man den Schein, den ihm der Kunde zuerst gegeben hat, nicht zählt.«
    »Es ist eine Schutzgeldzahlung«, stellte Ferras fest.
    »Zweihundertsechsunddreißig Dollar?« Gandle klang nicht sehr überzeugt. »Etwas eigenartiger Betrag für ein Schutzgeld. Aber man sieht, dass noch Geld in der Schublade ist. Demnach war es auf jeden Fall ein fester Betrag.«
    »Genau genommen«, meinte Ferras, »waren es zweihundert
sechzehn,
wenn man den Zwanziger abzieht, den der Kunde Li ursprünglich gegeben hat.«
    »Richtig«, sagte Bosch.
    Eine Weile blickten die drei Männer wortlos auf die angehaltene Aufnahme auf dem Bildschirm.
    »Tja, Harry«, sagte Gandle schließlich. »Und was hat das nun Ihrer Meinung nach zu bedeuten?«
    Bosch deutete auf die Zeitangabe am oberen Bildschirmrand.
    »Diese Zahlung erfolgte genau eine Woche vor dem Mord. Dienstag vor einer Woche um fünfzehn Uhr. Diesen Dienstag um fünfzehn Uhr wird Mr. Li erschossen. Vielleicht hat er sich diese Woche zu zahlen geweigert.«
    »Oder er hatte das Geld nicht, um zu zahlen«, warf Ferras ein. »Sein Sohn hat uns gestern erzählt, das Geschäft wäre stark zurückgegangen, und sie wären wegen des Ladens, den sie im Valley eröffnet haben, fast pleite.«
    »Der alte Mann weigert sich also und wird abgeknallt«, sagte Gandle. »Ist das nicht ein bisschen extrem? Man legt den Kerl um und bringt sich um seinen Kapitalnachschub, wie man so was in Finanzkreisen

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