Harry Bosch 15 - Neun Drachen
»Observierungsdaten von Verdächtigen?«
»Natürlich«, erwiderte Chu. »Ich werde versuchen, herauszufinden, wer er ist. Und dann Erkundigungen über ihn einziehen.«
»Aber er darf auf keinen Fall mitbekommen, dass wir ihn im Visier haben.«
»Danke, Detective. Aber das habe ich mir fast gedacht.«
Bosch sagte nichts weiter. Schon wieder ins Fettnäpfchen getreten. Er hatte wirklich seine Schwierigkeiten mit Chu. Obwohl sie beide die gleiche Dienstmarke trugen, konnte er sich nicht dazu bringen, ihm zu trauen.
»Außerdem hätte ich gern einen Ausdruck von dem Tattoo«, sagte Chu.
»Von welchem Tattoo?«
Chu nahm Bosch die Fernbedienung aus der Hand und drückte auf die Rückspultaste. Schließlich hielt er das Bild in dem Moment an, in dem der Mann die linke Hand ausstreckte, um sich von Mr. Li das Geld geben zu lassen. Chu fuhr mit dem Finger eine kaum zu erkennende Kontur auf der Innenseite des Arms nach. Es war tatsächlich eine Tätowierung, aber sie war auf dem grobkörnigen Bild so schwer zu erkennen, dass Bosch sie übersehen hatte.
»Was ist das?«, fragte er.
»Sieht aus wie die Umrisse eines Messers. Ein selbstgemachtes Tattoo.«
»Er war im Gefängnis.«
Chu drückte auf den Knopf, um das Bild auszudrucken.
»Nein, diese Sorte Tattoo macht man sich normalerweise auf einem Schiff. Während einer langen Überfahrt.«
»Was bedeutet es Ihrer Meinung nach?«
»Das chinesische Wort für Messer ist
kim.
Im südlichen Kalifornien gibt es drei Triaden.
Yee Kim,
Sai Kim
und
Yung Kim.
Das heißt Rechtschaffenes Messer, Westliches Messer und Tapferes Messer. Alle drei sind Ableger einer Hongkonger Triade, die sich Fourteen K nennt. Sehr mächtig und einflussreich.«
»Hier oder dort drüben?«
»Sowohl als auch.«
»Fourteen K? Wie vierzehn Karat Gold?«
»Nein, vierzehn ist eine Unglückszahl, weil das Wort vierzehn, wenn man es ausspricht, genauso klingt wie das chinesische Wort für Tod. Und
K
steht für killen.«
Von seiner Tochter und seinen häufigen Besuchen in Hongkong wusste Bosch, dass jede Zahlenkombination mit vier mit Unglück in Verbindung gebracht wurde. Seine Tochter lebte mit seiner Ex-Frau in einem Hochhaus, in dem es keine Stockwerke gab, die die Zahl vier enthielten. Der vierte Stock wurde mit
P,
wie die Abkürzung für Parkhaus, bezeichnet und der vierzehnte einfach ausgelassen, wie das in vielen westlichen Hochhäusern mit dem dreizehnten Stockwerk der Fall war. Außerdem befanden sich in den Stockwerken, die real das vierzehnte und vierundzwanzigste waren, die Wohnungen von Ausländern, die diesen Aberglauben nicht mit den Han – den Chinesen – teilten.
Bosch deutete auf den Bildschirm.
»Sie glauben also, dieser Kerl könnte einem dieser Fourteen-K-Ableger angehören?«
»Durchaus möglich«, antwortete Chu. »Ich werde dem sofort nachgehen, sobald Sie weg sind.«
Bosch sah Chu an und versuchte erneut herauszufinden, was in ihm vorging. Er glaubte, verstanden zu haben. Chu wollte ihn loswerden, damit er sich an die Arbeit machen konnte. Bosch ging zum DVD -Player, nahm die Disc heraus und steckte sie ein.
»Ich höre von Ihnen, Chu.«
»Ja«, erwiderte Chu kurz angebunden.
»Sobald Sie auf etwas Neues stoßen, geben Sie mir Bescheid.«
»Ich habe Sie durchaus verstanden, Detective. Sehr gut sogar.«
»Gut, dann sehen wir uns um zehn, wenn Mrs. Li und ihr Sohn kommen.«
Bosch öffnete die Tür und verließ das winzige Zimmer.
7
F erras hatte die Registrierkasse von Fortune Liquors auf seinem Schreibtisch stehen. Sie war mit einem Kabel an seinen Laptop angeschlossen. Bosch legte die Videoausdrucke auf seinen Schreibtisch und schaute zu seinem Partner hinüber.
»Irgendwas Neues?«
»Ich war bei der Spurensicherung drüben. Sie waren mit der Kasse schon fertig. Keine Fingerabdrücke außer denen des Opfers. Ich versuche gerade, in den Speicher reinzukommen. Was ich jetzt schon sagen kann, ist: Die Tageseinnahmen bis zum Mord betrugen weniger als zweihundert Dollar. Das Opfer hätte also kaum eine Zahlung von zweihundertsechzehn Dollar leisten können, falls du glaubst, dass das der Fall war.«
»Was das angeht, kann ich dir inzwischen einiges Neues erzählen. Sonst noch was von der Spurensicherung?«
»Nicht viel. Sie analysieren noch alle … ach, der Schmauchspurentest bei der Witwe war übrigens negativ. Aber das hatten wir erwartet.«
Bosch nickte. Weil Mrs. Li die Leiche ihres Manns entdeckt hatte, war es gängige Praxis, ihre Hände und Arme
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