Harry Bosch 15 - Neun Drachen
damit wir beweisen können, dass Chang bei Ihnen war.«
Li nickte widerstrebend, wie ein Junge, der von jemandem auf die Tanzfläche gezerrt wird, mit dem er nicht tanzen will.
»Eugene, würdest du Detective Bosch bitte die DVD holen?«
»Nein«, sagte Bosch rasch. »Ich muss dabei sein, wenn Sie die Disc herausnehmen. Sie wissen schon, Beweismittelkette und Augenschein. Ich komme mit.«
»Wie Sie möchten.«
In den fünfzehn Minuten, die Bosch noch im Supermarkt blieb, sah er sich zuerst das Überwachungsvideo an und fand darauf bestätigt, dass Chang in den Laden gekommen und nach hinten in Lis Büro gegangen war, um ihn nach den drei nicht aufgezeichneten Minuten im Büro bei Li und Lam wieder zu verlassen. Danach konfiszierte er die DVD und kehrte zu Li ins Büro zurück, wo er noch einmal dessen Schilderung der Begegnung mit Chang mit ihm durchsprach. Je detaillierter Boschs Fragen wurden, desto mehr schien Lis Widerstreben zuzunehmen, so dass Bosch schließlich zu der Überzeugung gelangte, dass sich der Sohn des Mordopfers wahrscheinlich weigern würde, mit der Anklage zu kooperieren. Dennoch hatte die Sache auch positive Seiten. Sie konnten sich Changs Erpressungsversuch auf andere Weise zunutze machen. Unabhängig davon, ob Li mit der Anklage kooperierte oder nicht, lieferte er ihnen den berechtigten Grund, den Bosch brauchte, um Chang festzunehmen und seinen persönlichen Besitz nach Indizien für seine Beteiligung an dem Mord zu durchsuchen.
Bosch war voller Zuversicht, als er durch die automatische Tür nach draußen ging. Langsam kamen sie bei den Ermittlungen voran. Er holte das Handy heraus und erkundigte sich bei Chu nach Chang.
»Wir sind inzwischen zurück bei seiner Wohnung«, berichtete Chu. »Er hat unterwegs nirgendwo angehalten. Ich glaube, er hat vor, sich zu Hause einen gemütlichen Abend zu machen.«
»Dafür ist es noch zu früh. Es ist noch nicht mal dunkel.«
»Wie auch immer, ich kann nur sagen, dass er sich im Moment zu Hause eingerichtet hat. Und er hat die Vorhänge zugezogen.«
»Alles klar. Ich fahre dann mal los.«
»Könnten Sie mir unterwegs vielleicht einen Tofu-Dog holen, Harry?«
»Nein, da müssen Sie sich jemand anders suchen, Chu.«
Chu lachte.
»Habe ich mir fast gedacht.«
Bosch beendete das Gespräch. Offensichtlich hatte auch Chu das Jagdfieber gepackt.
15
C hang kam bis Freitagmorgen neun Uhr nicht mehr aus seiner Wohnung. Aber als er sie dann verließ, hatte er etwas bei sich, was Bosch sofort in Alarmbereitschaft versetzte.
Einen großen Koffer.
Bosch rief Chu an, um sich zu vergewissern, dass er wach war. Sie hatten die nächtliche Observierung in Vierstundenschichten aufgeteilt, so dass jeder eine Zeitlang in seinem Auto schlafen konnte. Chu war zwischen vier und acht mit Schlafen an der Reihe gewesen, aber Bosch hatte noch nichts von ihm gehört.
»Sind Sie wach? Bei Chang tut sich was.«
Chu hatte noch Schlaf in der Stimme.
»Ja? Was? Sie sollten mich doch um acht anrufen.«
»Er hat gerade einen Koffer in sein Auto gepackt. Er macht sich aus dem Staub. Ich glaube, er hat einen Tipp bekommen.«
»Dass wir hinter ihm her sind?«
»Nein, dass er Microsoft-Aktien kaufen soll. Was haben Sie denn gedacht?«
»Harry, wer sollte ihm das gesteckt haben?«
Chang stieg in sein Auto und stieß rückwärts aus seinem Stellplatz auf dem Parkplatz der Wohnanlage.
»Das ist allerdings die Frage«, sagte Bosch. »Und wenn jemand eine Antwort darauf hat, dann Sie.«
»Wollen Sie damit sagen, ich hätte der Zielperson eines Ermittlungsverfahrens einen Tipp gegeben?«
In Chus Stimme schwang die unerlässliche Entrüstung der Beschuldigten mit.
»Ich weiß nicht, was Sie getan haben«, entgegnete Bosch. »Aber Sie haben unser Vorhaben in ganz Monterey Park herumgetratscht, weshalb diesen Kerl inzwischen weiß Gott wer gewarnt haben könnte. Im Moment kann ich nur sagen, es sieht so aus, als wollte er sich aus dem Staub machen.«
»In ganz Monterey Park? Übertreiben Sie da nicht ein bisschen?«
Bosch folgte dem Mustang in gut zweihundert Metern Abstand in Richtung Norden.
»Sie haben mir neulich erzählt, der dritte Typ, dem Sie das Foto beim MPPD gezeigt haben, hätte Chang identifiziert. Das wären also schon mal drei Cops, die alle Partner haben und bei Einsatzbesprechungen und untereinander reden.«
»Vielleicht wäre es dazu ja nicht gekommen, wenn wir Tao und Herrera nicht abserviert hätten, als ob wir ihnen nicht trauen würden.«
Bosch
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