Harry Bosch 15 - Neun Drachen
Hauptdurchfahrt, und als Chang nach rechts in eine Nebenstraße bog, fuhr Bosch geradeaus weiter. Er ging davon aus, dass Chu rechts abbiegen und dem Mustang folgen würde.
Bosch parkte in der ersten freien Lücke, stieg aus und ging zu Fuß zu der Stelle zurück, an der Chang und Chu abgebogen waren. Er sah Chang eine Reihe weiter seinen großen Koffer aus dem Kofferraum des Mustang wuchten. Chu hatte acht Autos weiter geparkt.
Da Chu anscheinend gemerkt hatte, dass er auf einem Langzeitparkplatz ohne Gepäck Verdacht erregen könnte, hatte er seinen Aktenkoffer und einen Regenmantel aus dem Auto genommen. Damit ging er jetzt wie ein Geschäftsreisender auf die nächste Haltestelle zu.
Bosch hatte keine Requisiten, um sich zu verkleiden, deshalb nutzte er die geparkten Autos als Deckung, als er die mittlere Zufahrt entlangging.
Chang schloss sein Auto ab und schleppte den Koffer zur Haltestelle. Das schwere alte Monstrum hatte keine Rollen, wie sie inzwischen Teil fast aller neueren Modelle egal welcher Größe waren. Chu stand bereits an der Haltestelle, als Chang dort ankam. Bosch ging hinter einem Minivan vorbei und kam nur zwei Fahrzeuge von den beiden entfernt nach vorn. So blieb Chang kaum Zeit, um zu merken, dass der auf ihn zukommende Mann auf dem Langzeitparkplatz eigentlich Gepäck hätte dabeihaben sollen.
»Bo-Jing Chang«, sagte Bosch laut, als er ihn fast erreicht hatte.
Der Verdächtige wirbelte herum. Aus der Nähe sah Chang kräftig und sehr kompakt aus, beeindruckend. Seine Muskeln spannten sich.
»Sie sind verhaftet. Bitte legen Sie die Hände auf den Rücken.«
Chang kam nicht mehr dazu, zu überlegen, ob er sein Heil in der Flucht oder im Angriff suchen sollte. Chu stellte sich hinter ihn, hielt seine linke Hand fest und legte ihm blitzschnell eine Handschelle um die rechte. Chang setzte sich zwar kurz zur Wehr, aber das war vor allem Ausdruck seiner Überraschung. Chu legte ihm auch die zweite Handschelle an, und die Festnahme war abgeschlossen.
»Was soll?«, protestierte Chang. »Ich nichts getan.«
Er hatte einen starken Akzent.
»Darüber werden wir uns gleich unterhalten, Mr. Chang. Sobald wir Sie ins Police Administration Building gebracht haben.«
»Ich muss Flugzeug kommen.«
»Heute nicht mehr.«
Bosch zeigte ihm Dienstmarke und Ausweis, dann stellte er Chu vor und erwähnte dabei ganz bewusst, dass Chu der Asian Gang Unit angehörte. Sollte das ruhig schon mal in Changs Kopf zu arbeiten beginnen.
»Festnahme für was?«, fragte der Verdächtige.
»Wegen Mordes an John Li.«
Bosch entdeckte keine Überraschung in Changs Reaktion. Aber er sah, wie er innerlich die Läden herunterließ.
»Ich will Anwalt.«
»Alles schön der Reihe nach, Mr. Chang«, sagte Bosch. »Erst müssen wir Sie auf Ihre Rechte aufmerksam machen.«
Bosch nickte Chu zu, worauf dieser eine Karte aus der Tasche zog. Er las Chang seine Rechte vor und fragte ihn, ob er sie verstanden hätte. Changs einzige Reaktion war, erneut einen Anwalt zu verlangen. Er kannte die Prozedur.
Als Nächstes forderte Bosch einen Streifenwagen an, um Chang ins PAB zu verfrachten, und einen Abschleppwagen, um sein Auto in die Polizeigarage in Downtown zu bringen. Sobald das erledigt war, hatte es Bosch nicht mehr eilig. Je länger es dauerte, Chang in die Stadt zu bringen, desto näher rückte vierzehn Uhr, der Termin, bis zu dem Verdächtige einem Richter vorgeführt werden konnten. Wenn sie Chang bis dahin nicht einlieferten, konnte er übers Wochenende als Gast des städtischen Gefängnisses festgehalten werden.
Nachdem sie etwa fünf Minuten schweigend dagestanden hatten – Chang saß auf einer Bank der Haltestelle –, deutete Bosch auf den Koffer und sagte ganz beiläufig, so, als ob die Fragen und Antworten nichts zur Sache täten:
»Sieht ja tonnenschwer aus, das Teil. Wohin wollten Sie denn damit?«
Chang sagte nichts. Wenn man verhaftet war, gab es keinen Smalltalk. Er starrte geradeaus vor sich hin und zeigte keine Reaktion auf Boschs Frage. Chu übersetzte die Frage, mit dem gleichen Ergebnis.
Bosch zuckte mit den Achseln, als wäre ihm egal, ob Chang antwortete oder nicht.
»Harry«, sagte Chu.
Bosch spürte, wie sein Handy zweimal vibrierte, das Zeichen, dass er eine SMS erhalten hatte. Er winkte Chu ein paar Meter von der Haltestelle fort, um mit ihm zu reden, ohne dass Chang mithören konnte.
»Was meinen Sie?«, fragte Chu.
»Eines steht zumindest schon fest: Er wird nicht mit uns reden und
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