Harry Bosch 15 - Neun Drachen
hielt im Rückspiegel nach Chu Ausschau. Er versuchte, sich von seinem Ärger nicht von der Beschattung ablenken zu lassen. Sie durften Chang jetzt auf keinen Fall aus den Augen verlieren.
»Rücken Sie auf. Wir fahren in Richtung 10er. Sobald er auf dem Freeway ist, lösen Sie mich ab und übernehmen die Führung.«
»Alles klar.«
Der Ärger in Chus Stimme war unüberhörbar. Bosch ignorierte ihn. Falls Chang einen Hinweis auf die Ermittlungen erhalten hatte, würde Bosch herausfinden, wer ihn angerufen hatte, und den Betreffenden zur Schnecke machen, selbst wenn es Chu war.
Chang fuhr auf den Freeway 10, und wenig später überholte Chu Bosch, um ihn bei der Beschattung abzulösen. Als Bosch zu ihm hinüberschaute, zeigte ihm Chu den Stinkefinger.
Bosch wechselte die Spur, ließ sich ein Stück zurückfallen und rief Lieutenant Gandle an.
»Harry, was gibt’s?«
»Probleme.«
»Erzählen Sie.«
»Das Erste ist, dass unser Mann heute Morgen einen Koffer in sein Auto geladen hat und damit gerade in Richtung Flughafen unterwegs ist.«
»Scheiße, was noch?«
»Wie die Sache für mich aussieht, hat er einen Tipp bekommen – vielleicht hat ihm jemand geraten, unterzutauchen.«
»Genauso gut könnte er aber auch von Anfang an Anweisung gehabt haben, sich abzusetzen, sobald er Li ausgeschaltet hat. Malen Sie da mal nicht gleich den Teufel an die Wand, Harry. Jedenfalls nicht, solange Sie keine konkreten Hinweise haben.«
Es ärgerte Bosch, dass ihm sein Lieutenant nicht den Rücken stärkte, aber damit konnte er leben. Falls Chang einen Tipp erhalten hatte und sich der Krebs der Korruption in die Ermittlungen eingeschlichen hatte, würde Bosch den Herd finden. Da war er sich ganz sicher. Aber vorerst ließ er die Sache auf sich beruhen und konzentrierte sich auf seine Optionen hinsichtlich Changs.
»Sollen wir Chang festnehmen?«, fragte er.
»Sind Sie sicher, dass er abhaut? Vielleicht macht er nur eine Lieferung oder so. Wie groß ist der Koffer?«
»Groß. Die Sorte, die man packt, wenn man nicht mehr zurückkommt.«
Seufzend lud sich Gandle ein weiteres Dilemma, in dem es eine Entscheidung zu treffen galt, auf den Teller.
»Okay, ich will erst noch mit ein paar Leuten reden, dann melde ich mich wieder bei Ihnen.«
Bosch nahm an, dabei handelte es sich um Captain Dodds und vielleicht jemand von der Staatsanwaltschaft.
»Es gibt aber auch gute Nachrichten, Lieutenant.«
»Kaum zu fassen«, rief Gandle aus. »Was?«
»Gestern Nachmittag sind wir Chang zum anderen Laden gefolgt. Zu dem, den der Sohn des Opfers im Valley betreibt. Er hat den jungen Li erpresst und ihm gesagt, nachdem sein alter Herr tot ist, müsste er jetzt zahlen.«
»Ist ja super! Warum haben Sie mir das nicht gesagt?«
»Hab ich doch gerade.«
»Damit haben wir einen berechtigten Grund für eine Festnahme.«
»Für eine Festnahme, aber wahrscheinlich nicht für eine Anklageerhebung. Der junge Li ziert sich als Zeuge etwas. Damit wir gegen Chang etwas in der Hand haben, müsste er seine Aussage zu Protokoll geben, aber ich bin mir nicht sicher, ob er dazu bereit ist. Abgesehen davon, wäre es keine Mordanklage. Und eine solche wollen wir doch.«
»Aber wenigstens könnten wir diesen Kerl daran hindern, sich in ein Flugzeug zu setzen und abzuhauen.«
Bosch nickte, während in seinem Kopf bereits ein Plan Gestalt anzunehmen begann.
»Heute haben wir Freitag. Wenn wir ihm auf den Fersen bleiben und ihn möglichst spät festnehmen, wird er erst Montagnachmittag einem Richter vorgeführt. Damit hätten wir mindestens zweiundsiebzig Stunden, um Beweise gegen ihn zu sammeln.«
»Mit der Erpressung als Notanker.«
»Genau.«
Bosch hörte das Anklopfzeichen in seinem Ohr und nahm an, es wäre Chu. Er bat Gandle, sich bei ihm zu melden, sobald er ihr weiteres Vorgehen mit den zuständigen Stellen abgesprochen hätte. Er nahm den Anruf entgegen, ohne auf das Display zu sehen.
»Ja?«
»Harry?«
Es war eine Frau. Er kannte die Stimme, konnte sie aber nicht sofort einordnen.
»Ja, wer ist da bitte?«
»Teri Sopp.«
»Oh, hallo, ich dachte, es wäre mein Partner. Was gibt’s?«
»Ich wollte Ihnen nur Bescheid geben, dass ich meine Vorgesetzten überzeugen konnte, die Patronenhülse, die Sie mir gestern vorbeigebracht haben, bei den elektrostatischen Verstärkungstests zu verwenden. Wir werden sehen, ob wir einen Abdruck erhalten.«
»Teri, Sie sind die Größte! Machen Sie den Test schon heute?«
»Nein, heute sicher noch
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