Harry Bosch 15 - Neun Drachen
damit, die Vorschriften zu ignorieren, denn er hatte einen Sechsfach- CD -Wechsler in seinem Auto. Diesmal hatte er ihn mit Musik seiner jüngsten Entdeckung geladen. Tomasz Stańko war ein polnischer Trompeter, der klang wie der Geist von Miles Davis. Sein Spiel war packend und mitreißend. Es war gute Observierungsmusik. Sie hielt Bosch wach.
Fast drei Stunden lang hatten sie inzwischen ihren Verdächtigen bei der Arbeit auf dem Gebrauchtwagengelände beobachtet. Er hatte Autos gewaschen, Reifen eingefettet, um sie neu aussehen zu lassen, und mit einem Interessenten in einem Mustang Baujahr 89 sogar eine Probefahrt gemacht. Und die letzte halbe Stunde hatte er die drei Dutzend Autos auf dem Gelände umgestellt, um den Eindruck zu erwecken, dass es ständig neue Angebote gab, dass Autos verkauft wurden und dass das Geschäft gut lief.
Um vier Uhr kam »Soul of Things« aus dem CD -Player, und Bosch fand, dass sogar Miles Stańko zähneknirschend Anerkennung gezollt hätte. Er trommelte mit den Fingern im Takt auf dem Lenkrad, als er sah, wie Chang in das kleine Büro ging und sein Hemd wechselte. Als er wieder nach draußen kam, war sein Arbeitstag beendet. Er stieg in den Mustang und fuhr allein weg.
Fast im selben Augenblick begann Boschs Handy zu summen. Er machte die Musik aus.
»Haben Sie gesehen?«, kam Chus Stimme aus dem Hörer. »Es geht los.«
»Ja, sehe ich.«
»Er fährt zum Freeway hoch. Glauben Sie, er macht Feierabend?«
»Er hat sich umgezogen. Deshalb schätze ich, er hat für heute Schluss gemacht. Zuerst hänge ich mich hinter ihn, aber Sie halten sich bereit, um mich abzulösen.«
Bosch folgte dem Mustang zunächst in einem Abstand von fünf Fahrzeugen, doch als Chang auf dem Freeway 10 in Richtung Downtown fuhr, rückte er dichter auf. Er war nicht auf dem Weg nach Hause. Bosch und Chu waren ihm am Abend zuvor zu einer Wohnung in Monterey Park gefolgt – die ebenfalls Vincent Tsing gehörte – und hatten sie noch eine Stunde lang beobachtet, nachdem die Lichter ausgegangen waren und sie davon ausgehen zu können glaubten, dass er sich schlafen gelegt hatte.
Jetzt fuhr Chang in die Stadt, und Bosch hatte das Gefühl, er war im Auftrag der Triade unterwegs. Er beschleunigte und hielt das Handy an sein Ohr, damit Chang sein Gesicht nicht sehen konnte, als er den Mustang überholte. Er rief Chu an und sagte ihm, dass jetzt er an der Reihe sei.
So lösten sich Bosch und Chu bei der Beschattung regelmäßig ab, während Chang auf den Freeway 101 wechselte und durch Hollywood nach Norden in Richtung Valley fuhr. Der Feierabendverkehr geriet immer mehr ins Stocken, und entsprechend einfach war es, dem Verdächtigen zu folgen. Chang brauchte fast eine Stunde, um nach Sherman Oaks zu kommen, wo er schließlich am Sepulveda Boulevard vom Freeway abfuhr. Bosch rief Chu an.
»Ich glaube, er fährt zum anderen Laden.«
»Könnte gut sein. Sollen wir Robert Li anrufen und ihn warnen?«
Bosch zögerte. Chu hatte recht. Er musste entscheiden, ob sich Robert Li in Gefahr befand. Wenn ja, musste er gewarnt werden. Wenn er sich jedoch nicht in Gefahr befand, konnte eine Warnung alles auffliegen lassen.
»Nein, noch nicht. Warten wir erst ab, was passiert. Wenn Chang in den Laden geht, gehen wir mit ihm rein. Und wenn es Ärger gibt, schreiten wir ein.«
»Sind Sie sich sicher, Harry?«
»Nein, aber so machen wir es. Sehen Sie zu, dass Sie es noch bei Grün über die Kreuzung schaffen.«
Sie ließen die Handys an. Die Ampel am Ende der Ausfahrt hatte gerade auf Grün geschaltet. Bosch war vier Autos hinter Chang, Chu mindestens acht.
Die Fahrzeugschlange setzte sich nur stockend in Bewegung, und Bosch kroch auf die Ampel zu. Gerade als er die Kreuzung erreichte, schaltete sie auf Gelb. Er schaffte es noch, aber Chu nicht.
»Alles klar, ich bin hinter ihm«, sagte er ins Telefon. »Keine Hektik also.«
»Gut. In drei Minuten bin ich da.«
Bosch klappte das Handy zu. In diesem Moment hörte er direkt hinter sich eine Sirene, im Rückspiegel flackerte ein Blaulicht.
»Scheiße!«
Bosch schaute wieder nach vorn, wo Chang auf dem Sepulveda Boulevard weiter in Richtung Süden fuhr. Er war noch vier Straßen von Fortune Fine Foods & Liquor entfernt. Bosch fuhr rasch an den Straßenrand, sprang aus dem Auto und ging, seine Dienstmarke hochhaltend, auf den Motorradpolizisten zu, der ihn angehalten hatte.
»Ich führe gerade eine Observierung durch! Ich kann jetzt nicht anhalten!«
»Beim Fahren
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